Meister der Miniaturen
3. September 2010 | von Ralph Stenzel | Kategorie: KulturDen Künstler und Ingenieur, den nachgerade ingeniösen Künstler Peter Schmidt durften wir bereits anläßlich seiner ersten Ausstellung in Fürth kennenlernen. Im Rahmen des Fürther Eisenbahn-Jubiläumsjahres und des Kunst-Events »Auf der Schiene – Neben der Spur« stellt der subversive Meister aus Asperg erstmals sein neuestes Werk »Wem gehört der Bahnhof?« vor.
Neulich erst hat der Nürnberger Kunsthistoriker Dr. Harald Tesan in einer Laudatio klare Worte gefunden zu diesem unangepaßten Künstler, »der Beobachtern der Kunstszene in der fränkischen Region immer wieder durch seine sozialkritischen, engagierten Arbeiten aufgefallen ist. Vielleicht liegt es an der Kleinteiligkeit seiner unkonventionellen Installationen, dass sie von einem größeren Kunstpublikum bislang noch nicht in dem Maß zur Kenntnis genommen wurden, wie es ihre durchgehend hohe, ja höchste Qualität eigentlich fordert.«
Von höchster Qualität, so dürfen wir an dieser Stelle ergänzend anmerken, sind auch die ins Riesenhafte vergrößerten Detailfotos, die Peter Schmidt von seinen Werken anfertigt und von denen hier in diesem Artikel vier beispiellhaft gezeigt werden: Einerseits sieht man auf den ersten Blick, daß die Szenen mit handelsüblichen Preiser-Figuren gestellt sind, andererseits wirken sie durch die ja keineswegs modellbahntypischen Szenarien alles andere als puppenstubenhaft, zuweilen sogar eher bedrohlich in ihrer Nähe zur ungeschminkten Wirklichkeit der Großstadtbahnhöfe. Doch wenden wir uns wieder den analytischen Ausführungen von Dr. Tesan zu:
»Peter Schmidt bedient sich einer sehr aktuellen realistischen Position: er betreibt Modellbau als Kunst. Mit äußerster Liebe zum Detail gestaltet er en miniature Landschaften und urbane Welten. Es gelingt ihm, im kleinen Maßstab große Probleme unserer neoliberalen Wirklichkeit abzubilden. Darüber hinaus verwischen in seinen Modellen die Grenzen zwischen den Kunstgattungen. Sie sind nicht Bildhauerei, nicht Environment, sondern irgendwie alles zusammen. Es sind eben Modelle im wahrsten Sinn des Wortes und sträuben sich schon von daher gegen eine endgültige Festlegung. Peter Schmidt ist ein Meister der Vermittlung zwischen High and Low. Von ihm werden nicht nur die Grenzen zwischen sozialen Schichten und ideologischen Systemen in Frage gestellt, sondern auch die zwischen der so genannten Hochkunst und den Alltagsphänomenen.«
In der Tat erscheint auch uns das spielerische Element der Vermittlung besonders erwähnenswert zu sein: Als scheinbares »Spielzeug« in Guckkasten-Manier sind die Schmidtschen Miniatur-Universen echte Blickfänger, die den Betrachter sofort in ihren Bann ziehen und mit seiner natürlichen Neugier spielen. Wer hätte nicht als Kind Ähnliches, aber eben doch nicht Vergleichbares gebastelt? Aus der scheinbar aus Jugendzeiten vertrauten Stofflichkeit der Installation heraus greift dann aber doch die alles andere als kindlich naive Botschaft nach uns, und sie erwischt uns letztlich unvorbereitet. Im Gegensatz zur spielerischen Welt-Aneignung des Kindes dreht Peter Schmidt den Spieß um und hält uns in seinen nur auf den ersten Blick »putzigen Kunstbauten« ein unangenehm klar konturiertes Spiegelbild unserer modern-maroden Gesellschaft vor...
Die eingangs zitierten Passagen einer Rede von Dr. Tesan hatten eine Preisverleihung zum Anlaß: Auf der Plassenburg über Kulmbach gewann Peter Schmidt im Juli diesen Jahres den »Fränkischen Kunstpreis«, ausgelobt vom Bund Fränkischer Künstler. Sein dort eingereichtes und ausgestelltes Werk »Festung Europa« kann auf seiner Homepage besichtigt werden. Hier in Fürth freilich ist das Thema Eisenbahn kalendarisch virulent, und so sehen wir gespannt der Eröffnung seines Bahnhofes entgegen und erhoffen uns Antworten auf die drängende Frage, wem dieser denn nun wirklich gehört...
Als Einführung zur und Vorbereitung auf die Ausstellung im Kunstraum Rosenstraße von Ellen Haselmeyer möge der folgende Text dienen, in dem Dr. Dieter Schmidt seine Gedanken zu dem überaus vielschichtigen Schaffen seines Bruders niedergelegt hat:
Zu Peter Schmidts »Wem gehört der Bahnhof?«
Noch vor 15 Jahren beherbergte das Bahnhofsgelände ein beheiztes Wartehäuschen, in das sich jeder und jede vor der Kälte flüchten konnte. Hatte der Fahrgast ein Geschäft zu erledigen, suchte er kostenfrei die öffentliche Toilettenanstalt auf. Bahnhofsrestaurant und Imbissbude, Zeitungsladen, Bahnhofsvorplatz, Spelunke und Sex-Shop – der Bahnhof bot sozialen Raum für Reisende und Gestrandete, Menschen auf dem Weg zur Arbeit, auf Geschäftsreise, zur Verwandtschaft, in den Urlaub. Oder er war eben auch letzte Station der Armut.
Mittlerweile hat sich das Leben im Bahnhofsbereich verändert: Der heutige Kunde geht an den für ihn bereiteten Platz in eine Espressobar im Ladenbereich. Das kleine wie große Geschäft wird zum Geschäft, der Mensch zahlt, wenn er eines zu verrichten hat. War es früher Aufgabe der Bahn, für die Beheizung und das Wohlergehen aller sich in ihrem Bereich Aufhaltenden zu sorgen, erhält der eigenverantwortliche Kunde nun eine Serviceleistung. Exklusive Kunden erhalten Eintritt in einen speziellen Lounge-Bereich. Die Bahn ist für die Sicherheit des reibungslosen Ablaufes des Verkaufes zuständig. Sie überwacht per Kamera ihren Teil des öffentlichen Raumes. Das Bahnhofsleben wird schicker und teurer, erhält Platz für neue Illusionen. Wer es sich nicht leisten kann bleibt fern, oder er wird entfernt. Ins Bild der Konsumwelt der Gegenwart passen immer weniger Bilder der Armut. Eine Zunahme der sozialen Gegensätze verlangt eine massivere Abgrenzung. Und wer zahlt hat recht: Er beeinflusst die Entscheidungen wie der öffentliche soziale Raum in der Zukunft gestaltet wird.
Der »Bahnhof« ist ein Beispiel für die Entwicklungen und Veränderungen der öffentlichen Räume unserer Gesellschaft. Neue Räume entstehen, mitunter virtuelle (Chatrooms im Internet), während andere wie das beheizte Wartehäuschen verschwinden. Wer definiert den öffentlichen respektive sozialen Raum? Wer entscheidet, wer welchen Raum betreten darf? Der Mensch? Der Kunde? Wer entscheidet über Veränderungen im sozialen Raum? Und wer hat überhaupt ein Interesse an einer Veränderung? Lokale, nationale und globale Räume, Netzwerke prägen das moderne Leben.
Über die öffentlichen Räume vor 100 Jahren hat sich Walter Benjamin Gedanken gemacht, die bis heute nicht an Aktualität eingebüßt haben. In liebevollen Miniaturen beschreibt er Orte des öffentlichen Lebens wie die Pariser Laden-Passagen. Seine literarischen Bilder führen die Warenwelt, den Luxus und die Armut einer vergangenen Epoche vor Augen. Gerade durch die Sicht auf das Alte, Vergehende, »Aus-der-Zeit-Genommene« schärfen sie den Blick auf das soziale Bild der Gegenwart – sowohl was das frühere und heutige Lebensgefühl an Orten wie dem Bahnhof angeht, als auch die möglichen Veränderungen, die noch ausstehen.
Ein Vergleich der Arbeitsweise und Absichten des Literaten Walter Benjamins und des Künstlers Peter Schmidt ist nicht ein Zuviel des Lobes für den Künstler: Peter Schmidts Miniaturen der Arbeitswelt und der sozialen Räume beleuchten spielerisch die Warenwelt und die sozialen Verhältnisse der Gegenwart. Indem seine Orte an der Grenze von Vergangenem und dem Heute angesiedelt sind ermöglicht sein Blick aufs Detail, Gefühle, Phantasien und Standpunkte gegenüber unserer sozialen Realität zu entwickeln.
Die Kunst Peter Schmidts ist der Versuch, mit künstlerischen Mitteln angesichts der sozialen Missstände der globalisierten Welt nicht zu resignieren, Handlungsspielräume zu entwickeln und Marcuses politisches Diktum »Weitermachen!« zu beherzigen.
Berlin 10. Juli 2010
Dr. Dieter Schmidt
Dem bleibt nichts hinzuzufügen außer der Aufforderung, rechtzeitig zur Abfahrt des Zuges am Bahnsteig in der Fürther Rosenstraße zu erscheinen:
»Wem gehört der Bahnhof?«
Installation und Fotografie von Peter Schmidt
Vernissage: 18. September 2010, 19:00 Uhr
Begrüßung: Claudia Floritz, Kulturamtsleiterin der Stadt Fürth
Einführung: Bernd Zachow, Nürnberger Nachrichten
Einladungskarte herunterladen
Ausstellungsdauer: 19. bis 26. September 2010
Öffnungszeiten:
Sonntag – Freitag (19.09. – 24.09.) 14 – 19 Uhr
Samstag (25.09.) 16 – 21 Uhr
Sonntag (26.09.) 13 – 18 Uhr
Eine Veranstaltung zum Eisenbahnjubiläumsjahr 2010 Nürnberg / Fürth
siehe auch www.kunstinderstadt.de
Kunstraum Rosenstraße
Rosenstr. 12 (Rückgebäude)
90762 Fürth
Tel.: 0911 – 734810 oder 0171 – 7140986
www.kunstraum-rosenstrasse.de
reguläre Öffnungszeiten:
Donnerstag, Freitag 14 – 19 Uhr, Samstag 11 – 17 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung
Die Arbeitsweise Peter Schmidts aus Baden-Württemberg (Miniaturbau+Foto) erinnert stark an den Fürther Künstler Oliver Boberg ( http://de.wikipedia.org/wiki/Oliver_Boberg ), dessen »Kleinteiligkeit seiner unkonventionellen Installationen« (Zitat Tesan) in seiner Heimatstadt mit Verleihung des Fürther Kulturpreises und bei internationalen Ausstellungen (Amsterdam, Chicago, Paris, Peking, New York, Shanghai, San Francisco) sehr wohl wahrgenommen wird.
Auch schön, also Boberg mit Sozialkritik und Modelleisenbahnfiguren. Stellt sich noch die Frage HO oder N (Modelleisenbahn Spurgrößen)?
Weil ich die Arbeiten beider Künstler kenne, weiß ich auch um die signifikanten Unterschiede: Den (menschenleeren) Bildern Oliver Bobergs sieht man nicht an, daß es sich um die Abbildungen artifizieller Modell-Inszenierungen banaler Orte handelt. Zudem kriegt man als Betrachter nicht die kleinmaßstäblichen Studioaufbauten zu Gesicht, sondern »nur« deren täuschend echt wirkende Ablichtungen. Die Schmidt’schen Werke sind zuförderst die (H0)-Modellbauten selbst, die zudem gar nicht erst versuchen, perfekt illusionistisch zu wirken (man denke nur an deren Illumination mit nachgerade »riesigen« Leuchtdioden).
Was nun »besser« ist, möge jede(r) für sich selbst entscheiden. Ernstzunehmende Künstler sind sicher beide, und was den Bekanntheitsgrad und die öffentliche Wahrnehmung angeht, da wissen wir ja alle, daß da auch allerlei Zufälle und schicksalhafte Wendungen mit hineinspielen...
Pressespiegel: »Wir Kinder von der Event-Location« (FN)