Bürokratie
4. Februar 2012 | von Michael Müller | Kategorie: PolitikSeit Jahren betätigt sich Edmund Stoiber, ehemals bayerischer Ministerpräsident, in Brüssel als Leiter der Anti-Bürokratie-Arbeitsgruppe der EU-Kommission. 40 Milliarden Euro sollen seine Einsparungsvorschläge für europäische Unternehmen bringen. Aufgrund dieser Erfolgsbilanz wurde sein Arbeitsvertrag in Brüssel bis 2012 verlängert. An Bayern scheint Bürokratieabbau vorbei gegangen zu sein: Welche Kapriolen bürokratisches Handeln in der bayerischen Verwaltung schlägt, soll nachfolgend an einem Beispiel aus Fürth aufgezeigt werden.
Aufgrund des Kommunalabgabengesetzes sind Straßenausbaubeiträge – hier Ausgaben für Oberflächenentwässerung und neue Straßenbeleuchtung – zeitnah auf die Anlieger zu verteilen. Im vorliegenden Fall geht es um Arbeiten für die Hornschuchpromenade zwischen Luisen- und Jakobinenstraße. 8.625,76 Euro stehen zur Verteilung an.
Um dies zu bewerkstelligen, sind
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in Zusammenarbeit von Tiefbau- und Stadtplanungsamt Fürth die betroffenen Häuser mit ihren Grunddaten (Grundstücksgrößen und Geschossflächen) zu ermitteln; sodann sind
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in Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht – Abt. Grundbuchamt – die Eigentümer der Anwesen und Wohnungen sowie die zugehörigen Miteigentumsanteile zu ermitteln; sodann sind
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die aktuellen Adressen der Eigentümer festzustellen, denn Rechnungen müssen ja mit einem eindeutigen Rechnungsempfänger versehen sein. Teilen sich mehrere Eigentümer mit unterschiedlichen Wohnorten in eine Wohnung, kann sich die Recherchearbeit leicht verdoppeln; sodann geht es
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an das Kostenverteilungstableau, denn alle Betroffenen – hier geht es um rund 20 Anwesen – sollen ja gleichermaßen belastet werden. Sind kleine Miteigentumsanteile dabei, z.B. für Kellerabteile, können leicht Belastungen zwischen 1 Euro und 2 Euro herauskommen. Teilt sich ein Ehepaar als Eigentümer das Kellerabteil, trägt jeder hiervon die Hälfte. Steht die Verteilungstabelle, werden
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alle Eigentümer – vielleicht um die 300 – darüber schriftlich informiert, dass in Kürze ein Beitragsbescheid auf sie zukommt und sie die Möglichkeit haben, sich gem. Bayer. Verwaltungsverfahrensgesetz über die vorgesehene Abrechnung im Tiefbauamt der Stadt Fürth in Kenntnis zu setzen. Etwa drei Wochen später erfolgt
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der kombinierte Bescheid- und Rechnungserlass. Ein Ehepaar mit vier Miteigentumseinheiten (1 Wohnung, 3 Kellerabteile) erhält dann 8 Bescheide/Rechnungen, wenn sie nicht zuvor um Eindämmung der Papierflut gebeten haben. Da Rechnungen nicht »in der Luft« hängen können, erhalten sie
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in der Stadtkasse Fürth Stück für Stück Kassenzeichen und werden gebucht – die Kopien natürlich, denn die Originale haben ja die Rechnungsempfänger erhalten. Zahlungsfrist sind 4 Wochen (ein Monat nach Zustellung). Jetzt kann die Verwaltung nur hoffen, dass keine Widersprüche erfolgen, denn dann kann es dauern, bis das Geld kommt – oder auch nicht. Nach einem Monat geht
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die Kontrolle des Zahlungseingangs los. Bei großen Beträgen wird das sicher zeitnah erfolgen, bei kleineren wird es sich zeitlich strecken. Eine lästige, langwierige Arbeit, die vermutlich viele Stunden bindet, inklusive Mahnschreiben.
Und was ist das Fazit dieses Vorgangs? Eigentlich nur, dass Bürokratie Arbeitsplätze erhält. Die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns bleibt außer Betracht. Bewertet man nämlich alle aufgezählten Arbeitsschritte, so ist die Summe der bewerteten Verwaltungsarbeit zuzüglich der Sachkosten (Schreiben, Kopien, Porto usf.) nicht weniger hoch zu veranschlagen als die umlagefähigen Kosten in Höhe von 8.625,76 Euro.
Wäre es da nicht vernünftiger Lösungen zu praktizieren, die mit der Arbeitskraft von Verwaltungsspezialisten intelligenter umgehen? Es herrscht doch Fachkräftemangel! Aber da Herr Dr. Stoiber ja noch in 2012 als Anti-Bürokratiebeauftragter tätig ist, bleibt die Hoffnung, dass er sich vielleicht auch noch einmal »seiner« Verwaltungsgesetze annimmt.
Dieses detailliert beschriebene Umlageverfahren ist doch vor allem eines: gerecht. Überdies ist anzunehmen, daß die meisten der geschilderten Teilschritte heutzutage EDV-gestützt, mithin effizient und schnell ablaufen und zudem wenig menschliche Arbeitskraft binden. Vor allem aber: Was wären denn die Alternativen? Abschaffung des privaten Wohneigentums wäre wohl die radikalste Weise, derlei Verteilungsverfahren obsolet zu machen (daß die staatliche Bewirtschaftung von Immobilien dennoch nicht funktioniert, darf angesichts der Geschichte freilich als erwiesen gelten). Oder sollten Umlagen erst ab einer gewissen Höhe stattfinden? Wer legte denn da den Schwellwert fest? Wäre die Herstellung materieller (Verteilungs-)Gerechtigkeit erst oberhalb einer »Bagatellgrenze« überhaupt verfassungsgemäß? Über bürokratische Auswüchse läßt sich sicherlich diskutieren, aber hier scheint mir persönlich wenig Grund zur Klage vorzuliegen...
@ Ralph: sehe ich auch so !
Es ist naheliegend, beim hier beschriebenen Beispiel einer ausufernden Bürokratie die Gerechtigkeit ins Spiel zu bringen. Aber darum geht es im Kern gar nicht. Nach dem Kommunalabgabengesetz als Regelwerk wird hier richtig oder korrekt verfahren. Das Grund- und Wohneigentum hat die Lasten nach Miteigentumsanteilen zu tragen. Gestellt wird vielmehr die wohl berechtigte Frage, ob es sinnvoll sei, für einen Kostenverteilungsvorgang noch einmal genau so hohe oder gar noch höhere Kosten (d.h. Verwaltungskosten) zu produzieren, wie die, die verteilt werden müssen. Was ist also zu tun?
1. Um effizienter zu werden, sollte überlegt werden, Projektkosten bis zu einem bestimmten Grenzbetrag generell nicht zu verteilen, sondern aus der »Gemeindekasse« zu alimentieren. Hierfür lässt sich ins Spiel bringen, dass der Grund- und Wohnraumeigentümer durch die Grundsteuer (eine Gemeindesteuer) ohnehin eine sein Eigentum belastende Abgabe zu entrichten hat. In Fürth ist diese in 2010 kräftig erhöht worden und bringt der Kommune aktuell rund 23 Mio. € im Jahr.
2. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, einen Kostensammler zu schaffen, der (zeitlich) so lange derartige Anliegerkosten thesauriert, bis ein Kosten-Grenzbetrag überschritten ist und sich die Verteilungsrechnung »lohnt«. Dieses Vorgehen hätte vermutlich den wünschenswerten Nebeneffekt, dass Bagatellarbeiten eingedämmt würden nach dem Motto, wenn schon Projekte, dann richtige Projekte; also bessere Planung und mehr Weitsichtigkeit.
Was die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns betrifft, so muss ich Ralph Stenzel mit der harten Wirklichkeit vertraut machen. Wesentliche Teile der Arbeiten sind nur »händisch« zu machen und damit weder effizient noch schnell zu erledigen. Das liegt an der Materie, nicht an den Menschen und der DV-Durchdringung. Es geht hier großenteils um pingelige Individualarbeit. – Und anzumerken ist überdies, dass das aufgeführte Beispiel kein Einzel- und Ausnahmefall ist, sondern viele Vorgänge dieser Art den Verwaltungsalltag im Tiefbauamt bestimmen.