»Stille! Sie schlummern nur.« – 130 Jahre Fürther Friedhof an der Erlanger Straße
30. Mai 2012 | von Felix Geismann | Kategorie: VermischtesVor 130 Jahren fand die erste Bestattung auf dem Städtischen Friedhof an der Erlanger Straße statt. Heute ist der größte Friedhof der Stadt nicht nur ein 25 Hektar großes Buch der Erinnerung, sondern auch ein lebendiger Garten der bildenden Kunst. Doch die historische Vielfalt ist in Gefahr... Ein Streifzug durch das Blütenmeer vor den Türen zur Ewigkeit und ein Plädoyer für den Erhalt dieses Zeugnisses historischer Erinnerungskultur.
Als das Städtchen Fürth zur großen Industriestadt herangewachsen war, musste Ersatz her für den aus allen Nähten platzenden Friedhof an der Nürnberger Straße. Im Dezember 1881 eingeweiht, wurde im folgenden Jahr, also vor genau 130 Jahren, der erste Verstorbene im Vorort Ronhof bestattet. Bewusst war man weit vor die Grenzen der Stadt gegangen, eine damals alles andere als unumstrittene Entscheidung. Inzwischen wurde der zentrale Ort der letzten Ruhe längst wieder von seiner Stadt eingeholt. Zum Glück werden ihm die Pegnitzauen immer einen großzügigen grünen Vorplatz hin zum Zentrum bewahren.
Der Altstadt ist er ein leicht erreichbarer Erholungsort, eine grüne Oase. Wahrscheinlich muss man den Friedhof als Garten der Kunst begreifen, um ihm gerecht zu werden. Flora, Fauna, Stelen, Skulpturen, alte Bäume und dieses uferlose Blütenmeer!
Wer still und langsam genug geht, den halten sie fest, die Geschichten von Liebe und Schmerz, Dankbarkeit und Fassungslosigkeit, Religion und Spiritualität, wiederkehrendem Krieg und ewigem Frieden. Hier begegnet man ihnen (fast) allen, den Bürgermeistern, Fabrikbesitzern, Stadtchronisten, Brauereidirektoren, Stiftern und so weiter – Der historisch gewachsene Friedhof ist ein offenes Buch der Stil- und Stadtgeschichte seit 1882. Und davor: Denn rund um die hierher transferierte Leichenhalle mit dem Sinnspruch »Stille! Sie schlummern nur.« wurde auch der ein oder andere Grabstein vom alten Friedhof hierher transferiert. Ebenso das Kreuz am zentralen Platz vor der Aussegnungshalle.
Wie man gebettet wird, so liegt man: Prunkvoll oder bescheiden. Die Grabmäler geben vielfältig Zeugnis vergangener – selten auch noch neuzeitlicher – Handwerkskunst. Dezent bis schwülstiger Historismus, eleganter Jugendstil und Neue Sachlichkeit, manche 30er-Jahre-Skulptur hat fast einen Beigeschmack von Riefenstahl’scher Sportler-Bildsprache. Wie in der Architektur ist die Gegenwart viel zu oft einfältig, und was den Mainstream verlässt schrill bis kitschig, nur weniges wirklich kreativ. Noch viel weniger passend.
Wie die Frau vor der Grundig-Bank trägt auch der prominenteste Bewohner des Friedhofs meist eine Blume in der Hand, während er sich an ein Kreuz gelehnt ausruht: Johannes Götz’ »Müder Wanderer«, Grabmal des bedeutenden Steinbildhauers für seine Eltern. Wie Rögner ein viel vertretener Altmeister am Fürther Friedhof.
Nirgendwo prallen Vergänglichkeit und Ewigkeit so unvermittelt aufeinander wie hier im Kontrast der vitalen Natur zu den Steinen von einst. Hier stehen sie, die Türen zur Ewigkeit. Viele deren Namen man heute in Granit und Sandstein liest, standen einst an selber Stelle um die Namen der Vorausgegangenen zu lesen. Den einen wird das ängstigen, dem anderen mag diese Beständigkeit im Vergänglichen Halt in einer schnelllebigen Welt sein. Ja, besonders im Frühling ist diese bittere Todesdrohung schön, hell und bunt.
Es wimmelt an Tieren in diesem Blütenmeer, Eichhörnchen springen die alten Bäume hinauf und hinab, die malerische Alleen säumen, und die Ameisen kitzeln Frauen an den Füßen, die sich zu wehren längst außer Stande sind, hat sie der Efeu doch längst fest bis hinauf in’s Gesicht umschlungen.
Denkanstöße an die Lebenden (»Das Leben ist wie ein Theaterstück: Es kommt nicht darauf an, wie lang es war, sondern wie bunt.«) wechseln sich ab mit emotionalen Bibelzitaten (»Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten was man hat muss scheiden.«). Doch gerade die christlichen Ankündigungen des Jüngsten Gerichtes wirken nicht immer hoffnungsvoll, oft hart und unerbittlich, so wie die Angehörigen wohl den Todesfall empfunden haben, eben von Schmerz geprägt. Und da sind sie den weltlich geprägten Gräbern doch ähnlich. Zwischen diesen frommen, gibt es aber auch Darstellungen von bemerkenswertem Gespür für feinsinnige weltliche Ästhetik, ja vereinzelt sogar Erotik.
Ein Garten der Kunst in vielen Facetten. Doch er ist in Gefahr: Gebühren und Bestattungen werden teurer und traditionelle Erdbestattungen seltener. Ob Biotop oder Wald, Kolumbarium oder Urnenfeld, neue Bestattungsformen sind vielfältig längst auch am Fürther Friedhof vertreten und machen den traditionellen Familiengräbern Konkurrenz. Noch vor nicht allzu langer Zeit geschlossen der Jahrhundertwende entstammende Gräberfelder lichten sich. Und immer mehr grasgrüne Rechtecke verraten, dass dieser Kahlschlag auf dem 25 Hektar messenden Friedhof völlig überflüssig ist: Der Platz wird auch so nie ausgehen.
Erkennt man erst einmal den Erhalt der historischen Grabmäler von vor 1945 als unabdingbar, so erschließt sich daraus auch, dass Gebührenerhöhungen völlig kontraproduktiv sind, führt jede einzelne Grabbrief-Rückgabe doch zu neuen Unterhaltskostensteigerungen für die Stadt. Richtig im Sinne des Erhalts dieses Kunst- und Geschichtsgartens wäre vielmehr jeder Anreiz zur Pflege durch erschwingliche Konditionen.
Doch Voraussetzung für diese Einsicht wäre eine gesteigerte Wertschätzung von Kunst im öffentlichen Raum, und dass es an der fehlt, hat Stadtheimatpfleger Dr. Alexander Mayer bereits im Zusammenhang verschwindender Fassadengestaltung als ein typisches und hinreichendes Merkmal von Provinzialität erkannt.
Und so führt eine Mixtur aus Geschichte und Kultur doppelt in das Fadenkreuz des Rotstifts. Da hilft kein Verweis auf Pietät und Identität einer geschichtsreichen Stadt mehr: Auch der Tod und die Erinnerung dürfen die Gesellschaft nichts mehr kosten … Trauriger Ausfluss der schreienden Inhaltsleere unserer Zeit, deren einziges Dogma die Sparsamkeit an falscher Stelle ist.
Kostendeckend soll unsere Erinnerungskultur auf den ersten Blick sein und macht unsere Stadtgesellschaft auf Dauer doch ärmer. Mit jedem Stein der fällt.
Der Autor sucht den Fürther Friedhof gleichermaßen gerne als Ruhe-Oase wie auch als sprudelnde Quelle bei den Recherchen für das FürthWiki auf.
Der grenzenlosen Mobilität sei Dank! Wer heute von Fürth nach Berlin oder Buenos Aires zieht, wird sich dereinst kaum noch für das Grab seiner Ahnen interessieren – verscharrt mich irgendwo im Wald, das passt schon! Andererseits kann auch nicht jeder die horrenden Mietkosten eines Grabes tragen – in 50 Jahren kommen hier ganz locker gut 8–10k€ zusammen für nix und wieder nix (außer dass hin und wieder von der Verwaltung der Grabstein umgeworfen wird wegen angeblicher Gefährdung), und dann hat noch keiner einen Tropfen Wasser hingeschüttet geschweige denn neue Blumen gepflanzt und Laub gerecht – nimmt man hier noch die Dienste eines Grabpflegedienstes in Anspruch, kommt nochmal so viel an Kosten hinzu. Ich persönlich möchte das meinen Nachkommen nicht aufbürden – also bleibt nur die Brennkammer.
Aber trotz allem Negativen: Gratulation zu diesem brillianten Artikel!