Razzia gegen Fürther Neonazis
13. Juli 2013 | von Timo Müller | Kategorie: PolitikIn den frühen Morgenstunden des 10. Juli durchsuchten 700 BeamtInnen des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) in Zusammenarbeit mit weiteren Verfolgungsbehörden 73 Anwesen und Arbeitsstätten von Neonazis in ganz Bayern. Die Aktion richtet sich gegen die bayernweit aktivste Neonazikameradschaft, das »Freie Netz Süd« (FNS). Auch führende Neonazis aus Fürth bekamen ungebetenen Besuch.
Grund für die Hausdurchsuchungen war ein »vereinsgesetzliches Ermittlungsverfahren« des bayerischen Innenministeriums gegen das »Freie Netz Süd« (FNS); »Strukturen dieses Netzwerkes« sollten offen gelegt und »Beweismaterial für ein Vereinsverbot« gesammelt werden. In Bayern traf es etliche Kader des Neonazidachverbands. Die Führungskader stammen allerdings aus Mittelfranken, besser gesagt aus Nürnberg und Fürth. Dort sind die seit Jahrzehnten in der ultrarechten Szene Aktiven Matthias Fischer aus Fürth-Stadeln und Norman Kempken aus Nürnberg beheimatet.
In Fürth durchsuchten etliche PolzistInnen des bayerischen LKA und Spezialkräfte des umstrittenen »Unterstützungskommandos« (USK) das Anwesen der Familie Fischer. Dort sind mehrere Neonazis gemeldet und bewohnen das Hinterhaus in WG-artigen Zusammenhängen. Die Polizei war eigens mit einem LKW und mehreren zivilen Einsatzwägen vorgefahren, um etliche Datenträger, CDs, Computer und Akten zu beschlagnahmen.
Um 13.30 Uhr präsentierte das bayerische Innenministerium im Rahmen einer Pressekonferenz erste Fundstücke der Razzia. Darunter befanden sich Hitlerbüsten, Hakenkreuzfahnen- und binden, etliche Waffen (u.a. Faustfeuerwaffen, Stabhandgranaten, Karabiner) und eine 9mm-Selbstschussanlage. Dinge also, die keineswegs zu einer normalen Wohnungseinrichtung gehören.
Das Freie Netz Süd
Entstanden ist der Neonazidachverband Ende 2008. Vorausgegangen war ein interner Disput der bayerischen NPD um politische Inhalte und der eigenen Außendarstellung. Es kam zu einem Putschversuch von sich selbst als »radikal« bezeichnenden Neonazis gegen den damals amtierenden Landesvorsitzenden Ralf Ollert. Als dieser Versuch, den Vorsitz an sich zu reißen scheiterte, traten etliche Neonazis aus der Partei aus und gründeten das FNS. Gedacht war das Netzwerk als Dachverband, dem sich etliche bayerische Kameradschaften anschließen sollten. Und so kam es, dass sich bis heute über 30 Gruppen und Organisationen zum FNS zählen. Organisiert ist alles streng hierarchisch. Die Führungsclique gibt vor, welche Themenkomplexe wann, wie und wo verbreitet werden und wie sich das Auftreten sowohl nach innen als auch nach außen darstellen soll.
Innerhalb Süddeutschlands entwickelte sich der Neonazidachverband schnell zur wichtigsten Struktur der extremen Rechten. Auf der Internetseite und in den Flugblättern hetzen die VerfasserInnen gegen MigrantInnen und Linke, immer öfter versuchen sie sich an antikapitalistischen Thesen, die selbstverständlich rein völkischer Natur sind. Besonders in Fürth ist der Begriff Neonazis unweigerlich mit Anschlägen auf politische GegenerInnen verbunden. Seit 2007 entstand ein Sachschaden von über 40.000 EUR durch Anschläge auf Wohnungen, Häuser, Autos, Infoläden und Gewerkschaftsbüros. Auch körperliche Angriffe blieben keine Seltenheit. Den traurigen Höhepunkt stellt dabei der Übergriff des derzeit inhaftierten Fürther Neonazikaders Peter Rausch auf einen jungen Antifaschisten am Nürnberger Plärrer dar. Der Neonazi schlug mehrfach auf sein Opfer ein, bis dieser bewusstlos zusammenbrach und nur durch eine 40-minütige Reanimation gerettet werden konnte.
Der Fürther Neonazi Matthias Fischer
In Fürther Stadtteil Stadeln lebt der bundesweit bekannte Neonazi Matthias Fischer. Dieser kann auf etliche Vorstrafen zurückblicken und zählt zu den Topkadern im FNS. Über seinem linken Ohr hat er sich »Aryan Hope« (zu deutsch: arische Hoffnung) eintätowieren lassen. Die Vereinigung »Aryan Hope« (AH), die nicht umsonst die Initialen Adolf Hitlers als Abkürzung nutzt, versteht sich als harter Kern internationaler Neonazis. Schon Anfang der 2000er Jahre zählte Fischer zu den richtungsweisenden AktivistInnen in der Nazigruppe »Nationalisten Nürnberg«. Als kurze Zeit später die »Fränkische Aktionsfront« (FAF) gegründet wurde, war er in deren Führungsclique aktiv und trat als presserechtlich Verantwortlicher für die eigene Publikation »Der Landser« auf. Nach dem Verbot der FAF fungierte er als Kreisvorsitzender der NPD in Fürth und versuchte 2008 vergebens in den Fürther Stadtrat gewählt zu werden.
Aufgrund antifaschistischer Intervention, war es der Fürther NPD nicht möglich, die benötigten 385 Unterschriften zu sammeln und wurde daher nicht zur Wahl zugelassen. Mittlerweile treten die Fürther Ultrarechten als »Bürgerinitiative soziales Fürth« (BISF) auf und verteilen aktuell flächendeckend rassistische Pamphlete in Fürther Stadtteilen. Mit einem angestrebten seriöseren Image soll eine breitere Zielgruppe angesprochen werden. »Bürgerinitiative« klingt zudem nach kritischem Engagement und sinnvollem Einsatz. Selbsterklärtes Ziel der BSF ist es, 2014 an den Stadtratswahlen teilzunehmen und mit einem Vertreter in das Fürther Stadtparlament einzuziehen.
Fischer zählt zudem als »Anti-Antifa«-Aktivist. Die »Anti-Antifa« ist ein strömungsübergreifendes Projekt von der bürgerlichen bis hin zur offen nationalsozialistischen Rechten, welche sich zum Ziel gemacht hat, den politischen Gegner zu diffamieren und in seinem Handlungsspielraum einzuschränken. Ungeklärt bleibt nach wie vor noch die Verbindung Fischers zur rechten Terrororganisation »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), welche in Deutschland neun Menschen aus rassistischen Motiven tötete. Fischer war als Kontakt für Nürnberg im Telefonbuch des NSU-Terroristen Uwe Mundlos angegeben.
FNS verboten! Alles gut?
Das Verbotsverfahren gegen das Freie Netz Süd bringt aus antifaschistischer Sicht naturgemäß einige Vorteile mit sich. Der Handlungsspielraum der Neonazis ist vorerst teilweise eingeschränkt. Intern rufen die Neonazis gerade schon zu Sachspenden auf, um die führenden AktivistInnen wieder mit Mobiltelefonen und Computern auszustatten. Auch am Überblick über alle Hausdurchsuchungen fehlt es ihnen. Nichtsdestotrotz werden die Naziaktivitäten in Bayern durch ein bevorstehendes Verbot nicht eingedämmt. Die Neonazis werden sich neu strukturieren und unter einem neuen Label auftreten. Ihrer Aggressivität wird auch das Verbotsverfahren nicht entgegensteuern können. Die gleichen Köpfe werden auch wieder die Zügel in den Händen halten und ihre Aktivitäten genauso fortführen wie bisher. Schließlich konnten die Neonazis des FNS seit 2008 ungestört menschenverachtende Propaganda verbreiten, obwohl aus antifaschistischen Kreisen schon damals das FNS als Nachfolgeorganisation der FAF erkannt wurde – ein Grund für die Razzia.
Nicht gerade unauffällig ist auch der Zeitpunkt der Razzien: So kann sich das bayerische Innenministerium nun als Vorkämpfer gegen rechte Strukturen präsentieren. AntifaschistInnen sehen in der Razzia aber nicht mehr als einen netten Nebeneffekt. Der Kampf gegen Neonazis wird sich auch in Zukunft abseits von staatlichen Stellen und fern von staatlicher Unterstützung abspielen, da eine erfolgreiche antifaschistische Politik nur gemeinsam und ohne eine heraufbeschworene Extremismusdoktrin zu meistern ist.
[...] Quelle: Fürther Freiheit [...]
Sehr guter und umfassend informativer Artikel!
In Stadeln lebt also die Führungsriege dieser Neonazis. Warum haben die Fürther Nachrichten nicht groß darüber berichtet? Ein Zeichen mehr, dass es unabhängigere Medien wie die »Fürther Freiheit« braucht. Was mich ärgert ist, dass sich über diese braunen Straf- und Gewalttäter der demokratische Selbstregulierungsmechanismus nicht regt. Beim Schwalme steht man vor der Tür und skandiert Parolen, diese Braunen Gesellen lassen Staat und Gesellschaft nahezu ungehindert gewähren.
40.000 € Sachschaden in 5 Jahren alleine in Fürth, 183 Tote durch Nazigewalt in den letzten 24 Jahren in Deutschland. Auch wenn ich diese Attacken gegen den Schwalme nicht für gut heiße (auch wenn er jetzt endlich wegziehen sollte!), sollten sich die Bürger mal überlegen, welchen Fokus sie selbst setzen. Ist feiern wirklich wichtiger als die Verteidigung demokratischer Grundrechte gegen diese braune Brut? Bin gespannt, wie viele Stimmen diese Rattenfänger mit ihrer Bürgerinitiative solziales Fürth an Land holen. Hoffentlich sind die Fürther so schlau, denen die Unterschrioften zur Zulassung zu verweigern.
Beschämend ist auch, dass diese Nazis jetzt fast ein 3/4 Jahr Zeit hatten, belastendes weg zu schaffen (so lange ist der Landtagsbeschluss her), bis Herr Hermann diese Razzia mutmaßlich gezielt vor den Wahlen platzierte, um sich nun als großer Nazijäger darzustellen. Er meint, da seien die Gerichte an der Zeitverzögerung schuld. Papperlapapp! Glauben wir ihm bitte kein Wort, denn der Staat hat gezeigt, wie schnell er bei den sog. Salafisten reagiert hat. Auf Altamedia (ein rechtes Internetportal) haben sie am selben Tag noch gepostet, mit dieser Razzia seit langem gerehchnet zu haben.
Also immer noch auf dem rechten Auge extrem blind? Nun ja, es ist schlimmer, denn seit den NSU Untersuchungsausschüssen wissen wir ja, wer diese Gesellen finanziert.
Es ist noch schlimmer!
Einer der »braunen Spinner« ist in der Gustavstraße wohnhaft / registriert, die Verwandtschaft betreibt eine Kneipe ‑aber protestiert wird gegen Herrn Schwalme.
Frage an die Gustavstraßen – Fans: Seid Ihr lieber »braun infiziert« als ab 23 Uhr leise?
[…] Köpfen im FNS zählen u.a. Norman Kempken (Nürnberg), Matthias Fischer (Fürth- Stadeln) (Artikel) und Stella Ruff (Fürth- Vach). Letztere sind SpitzenkandidatenInnen für die „Bürgerinitiative […]