Anmerkungen zum Dokumentarfilm »Liga Terezin« im Babylon-Kino
10. Februar 2016 | von Peter A. Lefrank | Kategorie: VermischtesAm Mittwoch, dem 3. Februar, wurde im Babylon-Kino der Dokumentarfilm »Liga Terezin« gezeigt, mit einer Podiumsdiskussion im Anschluss, an der ich als Übersetzer teilgenommen habe. In der Ausgabe der Fürther Nachrichten vom 8. Februar hat Alexander Pfaehler über die Veranstaltung berichtet: »Fußball-Liga im KZ – Fanprojekt holte Dokumentarfilm ins Fürther Babylon-Kino«. Der Artikel ist leider teilweise irreführend, auch fehlt eine Information über die interessante ausführliche Podiumsdiskussion. Aus diesem Grund, aber auch wegen der erschreckenden Aktualität des Themas Rassismus und Antisemitismus, meine nachfolgenden Ausführungen.
Ich denke, wir können stolz auf unsere Fanclubs Horidos 1000 und Stradevia 907, das Fanprojekt Fürth und Siegfried Imholz sein. Sie haben in Kooperation mit dem Babylon-Kino den Dokumentarfilm »Liga Terezin« und seine beiden israelischen Filmemacher, Oded Breda und Mike Schwartz, nach Fürth zur Aufführung und anschließenden Diskussion geholt. Außerdem haben sie zur »Liga Terezin« eine bemerkenswerte Broschüre erarbeitet und zur Veranstaltung verteilt.
Es ging in der Diskussion im Wesentlichen um drei Themenkreise, um den Film selbst, um die lokalpolitische Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Stadt Fürth und um den Gegenwartsbezug des Films zu Rassismus und Antisemitismus. Zum ersten Punkt schreibt Herr Pfaehler in seinem Artikel in den Fürther Nachrichten, dass »in vielen Konzentrationslagern Fußball gespielt wurde.« Nein! Fußball gespielt wurde in Theresienstadt und zwar ausschließlich zur Herstellung des Propagandafilms »Liga Terezin«. Die »Darsteller« wurden bereits wenige Monate später ermordet. Theresienstadt wurde zum »Vorzeige-Ghetto« gemacht, um »nach außen das Gesicht zu wahren«, wie Adolf Eichmann sagte. Weiter steht in dem Artikel nichts darüber, dass ausführlich diskutiert wurde, wie effektiv und perfide die Nazipropaganda das Mittel der Täuschung nutzte. Die Betroffenen, die »wohnsitzwechselnden« Juden, wurden getäuscht, indem man sie zu Heimkaufverträgen für ein »Altersghetto« zwang, in dem sie angeblich vor der Deportation sicher seien.
Die Öffentlichkeit wurde nicht minder erfolgreich getäuscht. Zu diesem Zweck wurde das Lager auf Drängen des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Roten Kreuzes im Juni 1944 einer Verschönerung unterzogen. Damit gelang es der SS, den Besuch des Internationalen Roten Kreuzes zu nutzen, um die zunehmenden Berichte im Ausland über die Massenmorde an den Juden zu entkräften. Teil der Verschönerung war der Transport von 4500 Häftlingen in die Gaskammern von Auschwitz, um der »Enge im Lager entgegenzuwirken.«
Besonders bedauerlich finde ich, dass in dem Artikel nichts über den zweiten Themenkreis steht, über die Erinnerung an den Nationalsozialismus in unserer Stadt Fürth, obwohl eingehend über die Zwiespältigkeit im Umgang mit der Erinnerungspolitik unserer Stadt gesprochen wurde. Einerseits werde sich im Allgemeinen klar vom Nationalsozialismus distanziert und beispielsweise an den jährlichen Gedenkveranstaltungen an die Reichspogromnacht teilgenommen. Andererseits seien Leute wie der Quelle-Gründer Gustav Schickedanz, der 1932 in die NSDAP eintrat und für sie im Stadtrat saß, Ehrenbürger unsere Stadt. Auch auf den Umgang mit Ludwig Erhard wurde verwiesen. Nach ihm werde nun das neue Zentrum direkt am Rathaus benannt. Dass Erhard aber während des Nationalsozialismus eine aktive Rolle spielte und danach die Rückerstattung jüdischen Vermögens verhinderte, werde öffentlich kaum diskutiert.
In Bezug auf den dritten Themenkreis, den Gegenwartsbezug des Films zu Rassismus und Antisemitismus und der damit verbundenen teilweise fragwürdigen staatlichen Gedenk- und Erinnerungskultur wurde besprochen, dass Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und religiöser Fanatismus reaktionäre Antworten sind, in einer Welt, die immer verrückter werde. Zugleich könne damit die Welt einfach erklärt werden.
Für eine wirklich gute Information zum Thema »Vorzeige-Ghetto« Theresienstadt und zum Film »Liga Terezin« verweise ich auf die oben genannte hervorragende Broschüre »Liga Terezin«. Die Fanclubs Horidos 1000 und Stradevia 907, das Fanprojekt Fürth und Siegfried Imholz sind bestimmt gern bereit, sie zur Verfügung zu stellen.
Zum Artikel in der Ausgabe vom 8. Februar 2016 von Alexander Pfaehler »Fußball-Liga im KZ – Fanprojekt holt Dokumentarfilm ins Babylon-Kino« hatte ich außer meinem Artikel hier in der Fürther Freiheit auch einen Leserbrief an die Fürther Nachrichten geschickt. Die FN werden diesen Leserbrief nicht veröffentlichen. Herr Pfaehler hat mir aber eine ausführliche Antwort an meine persönliche Adresse gesendet. Mit seinem Einverständnis wird hier die daraus folgende Email-Korrespondenz in vollem Wortlaut wiedergegeben:
Sehr geehrter Herr Lefrank,
vielen Dank für Ihren Leserbrief zu meinem Artikel über die Veranstaltung des Fürther Fanprojektes und der beiden Fürther Ultra-Gruppen. Ich freue mich, wenn sich Leser kritisch mit meinen Texten auseinandersetzen. Allerdings ist Ihre Kritik in einigen Punkten sachlich falsch. Ich würde mich deshalb auch freuen, wenn Sie dies auf der Internetplattform »Fürther Freiheit« korrigieren würden, auf der Sie Ihren Beitrag bereits veröffentlicht haben.
So ist mein Satz, dass »in vielen Konzentrationslagern Fußball gespielt wurde«, richtig. Gespielt wurde unter anderem in den KZs Sachsenhausen, Neuengamme und sogar Auschwitz. Für einen Überblick dazu empfehle ich Ihnen z.B. folgende Links:
http://www.zeit.de/online/2006/40/fussball_kz oder
http://www.11freunde.de/artikel/fussball-konzentrationslagern
Was Theresienstadt in diesem Punkt von den anderen Konzentrationslagern unterschied, war, dass es hier eine eigene Liga gab. Das steht aber auch genau so in meinem Text. Sie schreiben weiterhin: »Fußball gespielt wurde in Theresienstadt und zwar ausschließlich zur Herstellung des Propagandafilms ‘Liga Terezin’.« Auch hier liegen Sie falsch. Die Liga existierte über einen Zeitraum von drei Jahren, nicht ausschließlich für die Herstellung des Propagandafilms (der übrigens auch nicht »Liga Terezin« heißt, das ist der Name der israelischen Dokumentation, die im Babylon gezeigt wurde – der Propagandafilm hieß »Theresienstadt« oder alternativ »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt«). Dass die Liga auch unabhängig von den Dreharbeiten für den Propagandafilm existierte, lässt sich auch in der von Ihnen empfohlenen Broschüre zum Film nachlesen. In welchem Kontext dieses »Fußball spielen« stattfand – das damit Normalität vorgetäuscht werden konnte, die es in dem brutalen Alltag nicht gab, darauf gehe ich in dem Artikel sehr ausführlich ein.
Zur Frage der Gewichtung: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich eine so komplexe Thematik in einem Zeitungsartikel von 150 Zeilen niemals vollständig abbilden lässt. Das heißt, als Journalist muss ich versuchen, eine Auswahl treffen. Als Sportredakteur – der Artikel war eigentlich für die Sportseite geplant – habe ich mich deshalb auf die aus diesen Gesichtspunkten besonders interessanten Aspekte konzentriert: die Liga Terezin, die Entstehungsgeschichte des Films, warum Fußball für die Nazis als Propagandamittel so wichtig war, warum sich heute Fußballfans gegen das Vergessen engagieren und der Rassismus und Antisemitismus in den Stadien heute.
Die ansonsten sehr interessante Podiumsdiskussion hat dazu aber nur einige wenige Anknüpfungspunkte geboten (die ich aber z.B. in Form von Zitaten von Oded Breda in den Artikel habe einfließen lassen, sie fehlt also mitnichten vollständig – und auch das Thema der Täuschung spreche ich in meinem Text durchaus an). Ich hätte sicherlich auch noch erwähnen können, dass z.B. die Erinnerungspolitik der Stadt Fürth thematisiert wurde. Allerdings halte ich persönlich es für unbefriedigend, wenn vielschichtige Themen wie dieses, in ein, zwei Sätzen abgehandelt werden, nur damit der Chronistenpflicht genüge getan wurde. Zumal das auch zu weit weg vom sportlichen Kontext geführt hätte. Hätte ich alles, was an diesem Abend besprochen wurde, in meinem Artikel erwähnt, hätte er eine ganze Seite gefüllt. Und das ist, bei aller Bedeutung, die diesem Thema zukommt, schlicht nicht möglich. Ich kann gut verstehen, wenn Sie andere Aspekte, die in meinem Artikel zu kurz gekommen sind, für wichtiger halten als die sportliche Seite der Geschichte. Aber ich hoffe, dass Sie nun zumindest besser nachvollziehen können, warum ich den Schwerpunkt meines Textes so gewählt habe.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Pfaehler
NÜRNBERGER NACHRICHTEN
Sportredakteur in der Springer-Redaktion
Sehr geehrter Herr Pfaehler,
ich bedanke mich für Ihren freundlichen Kommentar und die Richtigstellung einiger meiner offenbar falschen Anmerkungen. Ich habe es sehr begrüßt, dass Sie einen so ausführlichen Artikel zur Veranstaltung im Babylon verfasst haben, da angesichts von Pegida und AfD das Thema Rassismus und Antisemitismus wieder von erschreckender Aktualität ist. Ich stimme Ihnen zu, dass über diesen Zusammenhang bei der Podiumsdiskussion zu wenig gesprochen wurde. Ich verstehe auch, dass Sie, mit Ihrem Hintergrund, die sportliche Seite der Geschichte besonders bearbeitet haben.
Ich halte es aber dennoch für sehr notwendig, dass gerade in der Stadt Fürth die zwiespältige lokalpolitische Erinnerung an den Nationalsozialismus nie unerwähnt bleibt!
Mit freundlichen Grüßen,
Peter A. Lefrank
PS: Ich schlage vor, dass ich unsere Korrespondenz hier als Kommentar zu meinem Artikel in der »Fürther Freiheit« veröffentliche. Ich meine, dass eine Korrektur von meiner Seite nur schlechter werden kann, als das was Sie selbst geschrieben haben.
... ich hoffte, dass zu diesem Beitrag irgendwann noch mehr Erhellendes zur »zwiespältigen lokalpolitischen Erinnerung« »aufleuchten« würde.
Mein Mann und ich haben vor längerer Zeit die Ausstellung über die Enteignung der jüdischen Familien (v.a. in Nürnberg) im Nürnberger Dokuzentrum besucht. Dass relativ wenig Material zur Enteignung der jüdischen Bevölkerung von Fürth präsentiert wurde, begründete der Herr, der die Ausstellung erläuterte, damit, dass von den betreffenden Fürther Behörden wenig Material zu diesem Thema zu bekommen wäre. Diese Aussage und der merkwürdige Umgang mit »belasteten Prominenten« in Fürth passen »irgendwie« zusammen, finde ich.
Für mich wäre es interessant, wie der heutige Stand der Dinge ist: Gibt es mittlerweile umfangreiches Material, das für die Öffentlichkeit zugänglich/einsehbar ist?
Im FürthWiki gibt es viele Treffer zum Suchbegriff »Arisierung«, ebenso zum Stichwort »Enteignung«. Überdies gibt es dort einige aktive Mitmacher, die an der Fürther Stadtgeschichte forschen. Vielleicht schauen Sie mal bei einer unserer nächsten Arbeitssitzungen vorbei, womöglich läßt sich da was in Gang bringen?
Noch eine Anmerkung zum Thema »merkwürdiger Umgamg mit belasteten Prominenten«: Man kann sich vorstellen, daß die es immer noch (oder wieder?) Leute gibt, die ihre »heile Welt« nicht durch irritierende Befunde gestört sehen wollen, aber eine Verschwörungstheorie würde ich daraus nicht ableiten wollen.
Die NS-Vergangenheit des ehemaligen Stadtheimatpflegers Dr. Adolf Schwammberger beispielsweise ist erst in jüngster Zeit recherchiert und publiziert worden, und an diesem Exempel mag man erkennen, wo das eigentliche Problem liegt: Akten sind mitunter weitverstreut in entfernten Archiven zu finden, und oft müssen nicht nur wenige Seiten, sondern ein Wust erhaltener Dokumente durchgearbeitet werden. Das alles vor Ort und zu Öffnungszeiten, die von Berufstätigen kaum oder nur im Urlaub eingehalten werden können. Will sagen, nur Leute mit beharrlichem Interesse an der Sache und hoher Zeitsouveränität (z.B. pensionierte Lehrer) könnten hier mit einiger Aussicht auf Erfolg weiterforschen, wo ein öffentliches Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte – warum auch immer – nicht zu erkennen ist. Und natürlich einschlägig interessierte Studenten. Von daher liegt das Problem wohl nicht im aktiven Ver- oder Behindern von Forschung, sondern eher am Mangel von Forschern...
... da ich nicht zum Personenkreis »pensionierter Lehrer« gehöre, habe ich (noch) genügend zu tun. Trotzdem: Danke für Ihr Angebot. Ich werde mich auf den von Ihnen genannten Seiten weiterhin informieren.
Eine Verschwörung wollte ich auch nicht andeuten.
Das Problem der »weit verstreuten« Schriftstücke erwähnte der Herr im Dokuzentrum auch – in diesen Fällen erkannte er auch kein »Mauern«. Er bedauerte, dass die Fürther Finanzbehörden nicht sehr »kooperativ« wären. Wessen heile Welt durch neue Erkenntnisse ins Wanken geriete ... das weiß man aber immer erst, wenn alle Details geklärt sind. Deshalb wünsche den »Forschern« viele neue Erkenntnisse.
Ich danke Ihnen für Ihre ausführliche Antwort.
Ich halte Ihren Wunsch, Frau Schlicht, für sehr angebracht, zum Thema der »zwiespältigen lokalpolitischen Erinnerung« in Fürth mehr Erhellendes zu liefern. Und das mit besonderem Bezug zu den akuten und wiederholten rechtsradikalen Umtrieben in unserer Stadt. Man denke an die Schändung des Gedenkorts Rudolf Benario & Ernst Goldmann in diesem Monat.
Ich glaube allerdings nicht daran, dass ein Mangel an Forschern oder die Unzugänglichkeit von Quellen die vorrangigen Ursachen für die schleppende Erhellung sind. Ich denke schon, dass Fürth – wie natürlich andere Städte auch – sich lieber in ein schönes Licht rückt und dafür viel Geld ausgibt, das dann im sozialen Bereich fehlt. Stichwort Ludwig Erhard Haus. Das macht einen besseren Eindruck als die Untaten von Ehrenbürgern unverblümt aufzuzeigen.
Ralph Stenzel hat ja schon darauf hingewiesen, dass doch einiges geschehen ist in punkto Erhellung. Leider fehlen noch entsprechende Schautafeln an den Ehrenbüsten unserer diversen »Würdenträger«. Ein aufklärerisches Ereignis in diesem Zusammenhang wird sicherlich der Vortrag von Kamran Salimi zu Dr. Adolf Schwammberger am 7. September um 19 Uhr im Stadtmuseum Fürth sein.
Sehr geehrter Herr Lefrank,
Ganz klar: Die Unzugänglichkeit von Quellen ist nur ein Aspekt in der »schleppenden Erhellung«.
Die »geschönten« Biographien sehe ich – wie Sie – als großes Problem bei der Aufarbeitung der Geschichte. Dass jede Stadt das Leben ihrer »großen Söhne« nachträglich schönt, scheint ein Teil falsch verstandener Imagepflege zu sein.
Zu Schickedanz fehlt jedoch fast immer, wenn ein Rückblick auf die »Quelle«-Historie veröffentlicht wird, der Hinweis auf den sehr frühen, mit Sicherheit nicht erzwungenen, sondern oppurtunistischen Eintritt in die NSDAP, der sicherlich zum Aufstieg des Unternehmens beigetragen hat; diesen Hinweis kann man schon deshalb nicht unterschlagen; will man Erhard würdigen, müsste auch der »Rosenthal-Fall« erzählt werden, denn hier hat Erhard seinen Posten als Berater eindeutig »missbraucht«; usw.
Die regelmäßige Zerstörung der Gedenktafel an der Uferpromenade zeigt auch mir, dass die Aufarbeitung in gewissen Kreisen unerwünscht ist., aber: Gedenktafeln sind »nur« die »rückblickende« Seite der Aufarbeitung. Aufarbeitung von Unrecht und Gewalt bedeutet vor allem ein deutliches »Nie wieder!«
Dazu gehört unbedingt: Eine Aufdeckung der Methoden, Mechanismen und Strukturen, die hinter jeder(!) Art von Hetzkampagnen und menschenfeindlichen/-verachtenden Umtrieben stehen – wobei die politische Ausrichtung solcher Hetze zunächst nebensächlich ist, finde ich, sie ist und bleibt von »rechts« und von »links« menschen- und demokratiefeindlich.
Dass die Arbeit der Forscher auch diesen Aspekt berücksichtigt, wünsche ich mir, und wünsche dieser Arbeit noch einmal viel Erfolg.
Mal was Grundsätzliches: Schwarm-Projekte wie die Wikipedia und das FürthWiki stehen jedermann nicht nur zur Verfügung, sondern auch zur inhaltlichen Bearbeitung und Fortschreibung offen. Wenn beispielsweise der aktuell noch etwas knappe FürthWiki-Artikel über Ludwig Erhard um den mir nicht bekannten »Rosenthal-Fall« ergänzt werden würde (selbstredend unter Angabe reputabler Quellen), dann hätte keiner was dagegen und die causa wäre schwarz auf weiß dokumentiert und weithin abrufbar. Zwar noch nicht in einem anerkannten Standard-Werk, aber immerhin, ein erster Schritt wäre gemacht.
Nachtrag: Ich sehe soeben, daß die Rosenthal-Sache ja bereits im besagten Artikel Erwähnung findet. Auf der dazugehörigen Diskussionsseite gibt es einen Schriftwechsel dazu. So kann gemeinsame Arbeit im Dienste der Wahrheitsfindung aussehen (und auch weitergehen).
Danke für die Hinweise!
Die Rosenthal-Sache habe ich aus einem Beitrag im Fernsehen erfahren. Sollte ich die »Quelle« wiederfinden, ergänze ich sie an passender Stelle.
Ich finde es sehr erfreulich, dass Sie zu diesem leidigen Thema eine lebhafte Diskussion anzetteln konnten, sehr geehrte Frau Schlicht. Aufklärung tut ja auch Not. Natürlich können Schwarm-Projekte wie Wikipedia und FürtWiki beim Erhellen helfen. Allerdings hielte ich es nach wie vor für richtig, wenn der Stadtrat beschlösse, an den einschlägigen Huldigungsstätten nicht nur zu huldigen sondern auch auf die teilweise höchst fragwürdige Vergangenheit der Ehrenbürger hinzuweisen. Dann müsste niemand in Wikipedia nachforschen sondern jedefrau und jedermann könnte es öffentlich sehen.
Vorab eine Bemerkung zum „Erhard-Rosenthal Fall“. Auf der Seite „der-landbote.de“ habe ich schon 2013 einen ausführlichen Beitrag über Ludwig Erhard veröffentlicht, der nicht nur diesen „Fall“ aufgreift, sondern auch mit allen erforderlichen Quellen versehen ist. Ergänzt werden müssten nur die Kosten, die die Stadt Fürth für das geplante Museum aufwenden muss –die sind jetzt höher. Für den „Fall Schickedanz“ verweise ich auf einen Beitrag von Dietzfelbinger, Eckart: „Warum braune Flecken kein Makel blieben – Anmerkungen zum Fall Gustav Schickedanz„ 2008“.
Aber zurück zum Umgang der Stadt Fürth mit ihren „großen Söhnen und Töchtern“ Der Umgang der Stadt Fürth ist symptomatisch für das, was in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik „Vergangenheitsbewältigung“ genannt wird:
Als eines der ersten Gesetze der jungen Bundesrepublik wurde am 31. Dezember 1949 ein Straffreiheitsgesetz verkündet. Mit ihm wurden die von den Spruchkammern und Gerichten verhängten Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten und Geldstrafen bis zu 5.000 DM aufgehoben. Bis Januar 1951 wurden damit 792.176 Personen – die von den Spruchkammern als sogenannte Minderbelastete und Mitläufer eingestuft waren – entlastet. Das Gesetz war vor allem auf Betreiben der FDP, einem Sammelbecken demokratisch gewendeter Nationalsozialisten und der DP, einer Partei bekennender Nazis, mit Zustimmung von CDU/CSU und SPD zustande gekommen. „Erstmals bestätigte sie [die Amnestie, der Verf.] auf bundesstaatlicher Ebene jene Schlussstrichmentalität, die in Teilen der deutschen Nachkriegsgesellschaft bereits ab 1946/47 entstanden und weiter im Wachsen war.“ (Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik, München, 2003 S.50f) Mit dem sogenannten 131er Gesetz vom April 1951 konnte ein großer Teil der 200.000 Funktionsträger des Dritten Reiches in den öffentlichen Dienst zurückkehren und die Karriere fortsetzen. 131er nannte man in Deutschland Beamte, die trotz ihrer Arbeit als Beamte für den NS-Staat auch in der BRD als Beamte zugelassen wurden.
Der Bundestag beschloss die Regelung dazu am 10. April 1951 aufgrund des Artikels 131 des Grundgesetzes mit Zustimmung aller Parteien des Bundestages ohne Gegenstimmen bei nur zwei Enthaltungen. Sie besagte, dass alle Beamten, die beim Entnazifizierungsverfahren nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder verbeamtet werden durften. Mit diesem Gesetz und seinen laufenden Ergänzungen wurden Gestapobeamte, SS-Leute, Militärs und NSDAP-Funktionäre in den Staatsdienst zurückgeholt. Im Wirtschaftsministerium waren bis zu 80% (s.a. Artikel Erhard) der leitenden Beamten ehemalige NSDAP-Mitglieder, im Außenministerium über 70 %. „…Die Entnazifizierung des auswärtigen Dienstes war das Ergebnis eines gigantischen Entlastungswerkes …“, vermerkt eine Studie aus dem Jahr 2010. Nicht anders verhielt es sich mit der Zusammensetzung der Parlamente. Kein Richter wurde wegen seiner Schandurteile je zur Rechenschaft gezogen. „Die Hitler den Staat gemacht hatten – kaum zehn Jahre später waren sie, soweit nicht in Pension, fast alle wieder in Amt und Würden“. (Frei a.o.a.O. S.99) Mit einem weiteren Straffreiheitsgesetz von 1954 war für die meisten Deutschen die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit faktisch abgeschlossen. Damit wurden unter anderem alle, die ihre von 1933 – 1945 begangenen Straftaten verschwiegen oder einer verbrecherischen Organisation wie der SS angehört hatten, amnestiert. Nur Totschlagsverbrechen waren von dieser Regelung ausgenommen.
Obwohl das Kontrollratsgesetz Nr. 10, das eine unnachsichtige Bestrafung der Täter forderte, formal weiterhin galt, wurde es in der Bundesrepublik faktisch seit 1951 nicht weiter angewendet. Als die Besatzungsmächte sich zurückzogen, war nur ein Teil derjenigen NS-Massenverbrechen strafrechtlich abgeurteilt worden, für die Allierten die Gerichtsbarkeit an sich gezogen hatten. Bereits vorher hatten deutsche Gerichte – jetzt zunehmend wieder mit alten Kameraden besetzt – die Vorgaben des Kontrollratsgesetzes in der Regel nicht angewendet. Sie stützten sich allein auf die deutschen Strafgesetze, die sich für die umfassende Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen oft als ungeeignet erwiesen und bei verspäteter Tataufklärung zur Verjährung führten.
Der Politikwissenschaftler Peter Reichel stellt fest, 1949 hätte die Möglichkeit bestanden, die im Kontrollratsgesetz Nr. 10 enthaltenen völkerrechtlichen Tatbestände als Sondergesetze zu übernehmen und Sondergerichte einzuführen: „Man entschied sich gegen diesen vergangenheitspolitisch innovativen, aber gewiss auch unpopulären Weg und für das Prinzip des Rückwirkungsverbots (Art. 103 GG) und die [deutsche, d. Verf.] Rechtskontinuität, so bedenklich die Begründung auch erscheint.“ Man nahm damit in Kauf, dass „viele Täter nur wegen Beihilfe und manche Vergehen gar nicht geahndet werden konnten.“ Von 1948 bis 1993 wurden von der westdeutschen Justiz 105.688 Ermittlungsverfahren aufgrund von NS-Verbrechen eröffnet. 6.494 Personen, gerade mal 6,1%, wurden rechtskräftig verurteilt. Die Höchststrafe wurde in 178 Fällen verhängt. In der Mehrzahl wurden die Angeklagten auch bei Tötungsdelikten nicht als Täter mit eigenem Tatvorsatz verurteilt, sondern nur der Beihilfe für schuldig befunden.
Alle, die 1933 gejubelt hatten, „als die Nazis zuerst die Kommunisten holten“ (aus einer selbstkritischen Reflexion Martin Niemöllers), sicherten sich, unterstützt von den westlichen Alliierten, deren Hauptfeind jetzt wieder die Sowjet-Union war, die Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit. Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen, Mittäterschaft und Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung nutzten sie zur Konstruktion eigener Widerstandslegenden, die für die historische Wahrheit wenig Raum ließen. Pathologische Schuldverdrängung gepaart mit Selbstmitleid fanden breite Zustimmung. So prägten in den 50er Jahren jene das politische Klima der Bundesrepublik, die erst wenige Jahre zuvor – jetzt von allen Schandtaten amnestiert – gemordet, geraubt, geplündert und denunziert hatten. Die niedersächsische Landtagsabgeordnete Maria Meyer-Sevenich (SPD) brachte es am 1. Juli 1951 auf den gemeinsamen demokratischen Nenner: „Die Entnazifizierung ist nichts anderes als ein Mittel zur Bolschewisierung des westdeutschen Raumes.“ Oder anders gesagt: Das Nachkriegstrauma war für die meisten Westdeutschen nicht etwa Auschwitz sondern Stalingrad.
Mit dem Kampfbegriff des Totalitarismus, in der Bundesrepublik auf ein simples Rot = Braun verkürzt, wurde mit dem vernichteten Braun auch Rot, das diesen Untergang der Nazis maßgeblich herbeigeführt hatte, entsorgt. Die Bundesrepublik, ideologisch und materiell zum antikommunistischen Vorposten hochgerüstet und als Inkarnation guter Herrschaft geadelt, konnte „damit das wichtigste Requisit aus der braunen Vergangenheit in einen Genugtuung versprechenden Neuanfang hinüberretten …Die Totalitarismustheorie erlaubte es, an ein und demselben Nagel die Feindschaft gegen Rot über die erzwungene Distanzierung von Braun zu hängen …“
Die Folgen sind hinreichend bekannt:
Das KPD-Verbot. 125.000 Ermittlungsverfahren und über 10.000 Verurteilungen bis 1968, „…Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Urteile gegen Kommunisten lag fast siebenmal so hoch, wie die gegen NS-Täter – obwohl die Nazis Millionen Menschen ermordet hatten. (Rigoll, Dominik: Staatsschutz in Westdeutschland, Göttingen, 2013, S.465 ff).
Die Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst – dem sogenannten Radikalenerlass -, den die Regierungschefs der Bundesländer und Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Januar 1972 auf Vorschlag der Innenministerkonferenz verabschiedeten. Bis zur Abschaffung der Regelanfrage 1991, „… wurden etwa 3,5 Millionen Bewerberinnen und Mitglieder des öffentlichen Dienstes vom Verfassungsschutz auf ihre politische Zuverlässigkeit durchleuchtet. Der Verfassungsschutz gab Negativauskünfte für 35.000 Personen heraus. In der Folge kam es zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen…“.
Es gehört zu den Treppenwitzen der Geschichte, dass ausgerechnet Klaus Kinkel FDP (von 1979 ‑1982 Präsident des von Nazi-Kriegsverbrechern gegründeten und verseuchten Bundesnachrichtendienstes), forderte: „Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren.“ Seine Forderungen richteten sich an eine Justiz, die sich bei der Verfolgung der Kommunisten bewährt hatte, und reihenweise Nazitäter entschuldet hatte. Einer von ihnen war Staatsanwalt Dr. Münzberg. Der hatte 1967 dem SS-Obersturmführer Arnold Strippel, der in Hamburg im April 1944 20 jüdische Kinder zwischen 5 und 15 Jahren erhängt hatte, bescheinigt: „…Die Ermittlungen haben nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben, dass sich die Kinder über Gebühr lange quälen mussten, bevor sie starben … Ihnen ist also über die Vernichtung ihres Lebens hinaus kein weiteres Übel zugefügt worden ...“. Münzberg hatte das Verfahren eingestellt und fand nach dem Anschluss der DDR eine Weiterverwendung für den Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz im neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.
Verlässliche Schätzungen sprechen von etwa einer Million ehemaliger Staatsbediensteter und Wissenschaftler in der DDR, die über Warteschleife, Abwicklung und Kündigung entlassen wurden. Ihnen wurde eine besondere Loyalität zur DDR vorgeworfen. Deshalb könnten sie im vereinigten Deutschland nicht hinreichend verfassungstreu sein, es ermangele ihnen an persönlicher Eignung.
Abgesehen von einer Minderheit von Historikern sind wir von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit nicht nur in Fürth noch weit entfernt, auch wenn uns die gängige Betroffenheitslyrik etwas anderes suggerieren soll.