200 Jah­re ei­gen­stän­dig – (k)ein Grund zum Fei­ern?

19. August 2018 | von | Kategorie: Der besondere Beitrag

Seit ei­ni­ger Zeit lau­fen die Ver­an­stal­tun­gen der Stadt Fürth zum Fest­jahr »200 Jah­re ei­gen­stän­dig«. Dies reicht im Fest­pro­gramm von Vor­trä­gen und Aus­stel­lung über Il­lu­mi­na­tio­nen, Sport­ver­an­stal­tun­gen und Be­grü­nun­gen bis hin zu den Baye­ri­schen Thea­ter­ta­gen.

Das von einer Stadtmauer bekrönte Kleeblatt mit Eichenkranz als erstes Fürther Stadtwappen von 1835, Stadtarchiv Fürth, Fach 128/28

Das von ei­ner Stadt­mau­er be­krön­te Klee­blatt mit Ei­chen­kranz als er­stes Für­ther Stadt­wap­pen von 1835, Stadt­ar­chiv Fürth, Fach 128/28

Ver­ein­zelt wur­de je­doch die Fra­ge laut, ob es für 2018 über­haupt ei­nen Grund zum Fei­ern ge­be, da Fürth be­reits seit 1808 Stadt ist. Tat­säch­lich stand Fürth über Jahr­hun­der­te als Markt­flecken recht­lich zwi­schen der Dom­prop­stei Bam­berg, dem Mark­graf­t­um Bran­den­burg-Ans­bach und der Reichs­stadt Nürn­berg. Die­se drei Her­ren hat­ten nicht nur die üb­li­chen grund­herr­schaft­li­chen Rech­te an ih­ren Un­ter­ta­nen in Fürth, son­dern strit­ten jahr­hun­der­te­lang auch über lan­des­herr­li­che An­sprü­che, wie bei­spiels­wei­se Ge­richts­rech­te oder den Kirch­weih­schutz. Ei­nen »Herr­scher«, der Fürth zur Stadt hät­te er­he­ben kön­nen, gab es da­her nicht. Da­bei spielt es auch kei­ne Rol­le, dass Fürth schon im 19. Jahr­hun­dert ir­ri­ger­wei­se wie­der­holt als »Stadt« be­zeich­net wur­de.

Auch wenn die Kon­kur­renz­si­tua­ti­on zwi­schen den drei Her­ren teil­wei­se so­gar Vor­tei­le für Fürth bot, bei­spiels­wei­se bei der An­sied­lung von Ge­wer­be, wa­ren die Rech­te, das Ge­mein­de­le­ben und die Ver­wal­tung selbst zu be­stim­men, sehr ein­ge­schränkt. Dies än­der­te sich mit der Über­nah­me des Mark­graft­ums Bran­den­burg-Ans­bach durch das Kö­nig­reich Preu­ßen 1791/92 we­nig. Fak­tisch wur­den Bam­berg und Nürn­berg auf lo­ka­ler Ebe­ne weit­ge­hend als Kon­kur­renz aus­ge­schal­tet. We­gen der na­po­leo­ni­schen Krie­ge la­gen die Schwer­punk­te in der Ver­wal­tung und im All­tags­le­ben aber wo­an­ders. Im­mer­hin wur­de in die­ser Zeit ein neu­es Ver­wal­tungs­ge­bäu­de er­rich­tet. Stadt­rech­te er­hielt Fürth nicht.

Dies blieb zu­nächst auch im neu­en Kö­nig­reich Bay­ern so, an das Fürth im Jahr 1806 fiel. Die neu ge­won­nen Ter­ri­to­ri­en soll­ten zu­sam­men mit den alt­baye­ri­schen Ge­bie­ten zur Ver­ein­heit­li­chung ei­ne neue Ver­wal­tung be­kom­men. Ein er­ster Schritt hier­zu war die Kon­sti­tu­ti­on von 1808 mit den zu­ge­hö­ri­gen Edik­ten. Hier­in wur­den bei­spiels­wei­se die Vor­gän­ger der heu­ti­gen Re­gie­rungs­be­zir­ke (da­mals noch nach Flüs­sen be­nannt) ins Le­ben ge­ru­fen. Auch Ma­ße, Mün­zen und Ge­wich­te wur­den nach und nach an­ge­passt.

Dar­über hin­aus wur­den für die Ver­wal­tung der Ge­mein­de neue Vor­schrif­ten er­las­sen. Fest­ge­legt wur­de bei­spiels­wei­se, dass die Städ­te der er­sten bis zur drit­ten Klas­se rein nach der An­zahl der Ein­woh­ner auf­zu­tei­len sei­en. Nach ent­spre­chen­den Er­he­bun­gen wur­de Fürth 1808 erst­mals zur Stadt, näm­lich »II. Clas­se«[1]. Zu­gleich be­en­de­te Pa­ra­graph II des er­sten Teils der Kon­sti­tu­ti­on die »be­son­de­ren Ver­fas­sun­gen, Pri­vi­le­gi­en, Er­bäm­ter und Landschaftliche[n] Ko­ope­ra­tio­nen«. Dies be­deu­te­te für Fürth das ge­naue Ge­gen­teil von Ei­gen­stän­dig­keit oder Selbst­ver­wal­tung. Die Stadt ver­lor all ih­re Rech­te und wur­de fort­an – wie al­le Ge­mein­den des Kö­nig­reichs – von baye­ri­schen Staats­be­am­ten als Un­ter­ge­be­ne der Re­gie­rung von Ans­bach ver­wal­tet. Ein Mit­spra­che­recht der Ein­woh­ner gab es nicht, le­dig­lich ei­ne mar­gi­na­le Mög­lich­keit zur »Be­ra­tung«. Fürth hat­te da­mit selbst sei­ne we­ni­gen Rech­te aus Zei­ten der Drei­herr­schaft ver­lo­ren, bei­spiels­wei­se im Ju­stiz- und Fi­nanz­be­reich. 1808 kann da­her schwer­lich für ein Ju­bi­lä­um her­an­ge­zo­gen wer­den.

Schnell zeig­te sich nach 1808, dass die zen­tra­le Ver­wal­tung al­ler baye­ri­schen Ge­mein­den die zu­stän­di­gen Be­hör­den über­for­der­te. Aus die­sem Grun­de wur­de die Ge­mein­de­ord­nung bald ei­ner Re­vi­si­on un­ter­zo­gen. Die Um­set­zung dau­er­te bis 1818 in Form der Ver­fas­sung und der zu­ge­hö­ri­gen Edik­te. Erst zu die­sem Zeit­punkt er­folg­te die »Wie­der­be­le­bung der Ge­mein­de-Kör­per durch die Wie­der­ga­be der Ver­wal­tung der ihr Wohl zu­nächst be­rüh­ren­den An­ge­le­gen­hei­ten«[2] – die Kom­mu­nen soll­ten sich ei­gen­stän­dig um ih­re Zu­stän­dig­kei­ten küm­mern. In der wis­sen­schaft­li­chen hi­sto­ri­schen For­schung ist da­her Kon­sens, dass die Ge­mein­de­ver­fas­sung von 1818 DER Zeit­punkt der Wie­der­her­stel­lung bzw. Er­lan­gung kom­mu­na­ler Selbst­ver­wal­tung ist. So heißt es bei­spiels­wei­se bei Pe­ter Claus Hart­mann, dass der Rück­tritt des bis da­hin maß­geb­lich ent­schei­den­den baye­ri­schen Po­li­ti­kers Ma­xi­mi­li­an von Mont­ge­las, den »Weg frei [mach­te] für die Wie­der­her­stel­lung der ge­meind­li­chen Selbst­ver­wal­tung.«[3] Ver­gleich­bar äu­ßern sich die an­de­ren Stan­dard­wer­ke zur baye­ri­schen (Verfassungs-)Geschichte.[4] Da­bei steht au­ßer Fra­ge, dass es bis zur Selbst­ver­wal­tung im heu­ti­gen Sin­ne noch ein wei­ter Weg war. Die Ver­fas­sung von 1818 mit den an­schlie­ßen­den Edik­ten war je­doch der Be­ginn der mo­der­nen kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung, auch wenn vie­le Rech­te bei­spiels­wei­se erst durch die Wei­ma­rer Ver­fas­sung von 1919 ein­ge­räumt wur­den, an­de­re aber auch wie­der ver­lo­ren gin­gen.

Auf­grund der Ein­woh­ner­zahl wur­de Fürth 1818 zur Stadt »I. Clas­se«. Dies war für die Selbst­ver­wal­tungs­rech­te von ent­schei­den­der Be­deu­tung. Wäh­rend Städ­te er­ster Klas­se als (mit der heu­ti­gen Be­zeich­nung) kreis­freie Städ­te di­rekt der Re­gie­rung in Ans­bach als Auf­sichts­be­hör­de zu­ge­teilt wa­ren, stan­den Märk­te und klei­ne­re Städ­te un­ter der Auf­sicht der heu­ti­gen Land­krei­se, al­so ei­ne Ebe­ne tie­fer.[5] Da es in Fürth – an­ders als bei­spiels­wei­se in den so­ge­nann­ten frei­en Reichs­städ­ten – frü­her viel we­ni­ger Selbst­ver­wal­tungs­rech­te ge­ge­ben hat­te, war das Jahr 1818 ein er­heb­li­cher Ein­schnitt für die hie­si­ge Selbst­ver­wal­tung und das lo­ka­le Selbst­be­wusst­sein. Zwar stand Fürth als Ge­mein­de wei­ter un­ter »Staats­ku­ra­tel«. Doch auch heu­te ste­hen selbst die kreis­frei­en Städ­te Bay­erns noch un­ter der »Rechts­auf­sicht« bzw. »Fach­auf­sicht« der Re­gie­rungs­be­zir­ke.

Es bleibt da­her, dass Fürth erst ab 1818 als ei­gen­stän­di­ge Stadt ei­nen ei­ge­nen Wir­kungs­kreis hat(te). Hier­zu gehör(t)en bei­spiels­wei­se die in­ne­re Ver­wal­tung, die Ver­wal­tung des Ge­mein­de- und Stif­tungs­ver­mö­gens, das Steu­er­erhe­bungs­recht, Bür­ger­auf­nah­men und Ge­wer­be­be­wil­li­gun­gen, Bau­sa­chen und vie­les mehr. Die Rech­te ha­ben sich in den letz­ten 200 Jah­ren im­mer wie­der ver­än­dert, gin­gen zum Teil so­gar wei­ter als sie es heu­te tun, z.B. mit ei­ner Orts­po­li­zei und Auf­sichts­rech­ten über die Kir­chen. Au­ßer­dem dür­fen seit 1818 ein Stadt­wap­pen und ein städ­ti­sches Sie­gel ge­führt wer­den. Wie be­deu­tend dies auch auf emo­tio­na­ler Ebe­ne war, zeigt das Für­ther Stadt­wap­pen. War in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten ei­ne Stadt­mau­er un­trenn­bar mit den Stadt­rech­ten (»Stadt­luft macht frei«) ver­bun­den, so brauch­te es im 19. Jahr­hun­dert kei­ne aus Stein er­rich­te­te Stadt­mau­er mehr. Als je­doch 1835 das Für­ther Stadt­wap­pen ein­ge­führt wur­de, war das Klee­blatt von ei­ner stol­zen Stadt­mau­er be­krönt. Auch der er­ste Rat­haus­bau in Fürth trans­por­tiert den Stolz der ge­won­nen Ei­gen­stän­dig­keit: Nicht oh­ne Grund trägt der klas­si­zi­sti­sche Neu­bau des Rat­hau­ses ei­nen Turm, der in An­leh­nung an die Rat­häu­ser der ei­gen­stän­di­gen ober­ita­lie­ni­schen Stadt­staa­ten er­baut wur­de. Dar­über hin­aus wer­den seit 1818 ein »Er­ster Bür­ger­mei­ster« bzw. »Rechts­kun­di­ger Bür­ger­mei­ster« und ein Stadt­ma­gi­strat vom Kol­le­gi­um der Ge­mein­de­be­voll­mäch­tig­ten ge­wählt. Erst spä­ter wur­den die Be­zeich­nun­gen »Ober­bür­ger­mei­ster« und »Stadt­rat« ein­ge­führt. Das Wahl­recht war sei­ner Zeit noch ein an­de­res, nicht im heu­ti­gen Sin­ne de­mo­kra­tisch.[6]

Sum­ma sum­ma­rum ist das Ent­schei­den­de für das Fei­er­jahr 1818 nicht die rei­ne Be­zeich­nung »Stadt« von 1808, son­dern auch das, was ver­wal­tungs­tech­nisch und nicht zu­letzt emo­tio­nal da­hin­ter­steht. Die Zeit­ge­nos­sen wa­ren 1818 be­gei­stert, dass ihr Ort die Rech­te (zurück)bekam, nicht 1808, als sie ver­lo­ren gin­gen. Dass an­ders­wo die­ses Jahr nicht so in­ten­siv be­gan­gen wird, mag dar­an lie­gen, dass die an­de­ren Groß­städ­te in Bay­ern zu­min­dest als zeit­wei­se Re­si­denz­städ­te bis zur Be­grün­dung des Kö­nig­reichs Bay­ern oh­ne­hin viel wei­ter­ge­hen­de Rech­te hat­ten als der Markt­flecken Fürth. Erst durch die Ei­gen­stän­dig­keit 1818 er­leb­te Fürth nach dem wirt­schaft­li­chen Nie­der­gang un­ter Na­po­le­on ei­nen gro­ßen Auf­schwung, der un­trenn­bar da­mit ver­bun­den ist.

2018 ist da­her ein sehr gu­tes und wich­ti­ges Jahr, um ein Stadt­ju­bi­lä­um zu be­ge­hen. Dies gilt um­so mehr, als Fei­er­lich­kei­ten ge­ra­de auch für die vie­len Neu-Bür­ger zur Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der neu­en Hei­mat bei­tra­gen.

 
Dr. Mar­tin Schramm ist Hi­sto­ri­ker in Fürth.

  1. RBl. 1808, 2789 und RBl 1808, 2405.
  2. GBl. 1818, 102.
  3. Pe­ter Claus Hart­mann, Bay­erns Weg in die Ge­gen­wart. Vom Stam­mes­her­zog­tum zum Frei­staat heu­te, Re­gens­burg 32012, S. 377.
  4. Vgl. hier­zu auch Bay­erns An­fän­ge als Ver­fas­sungs­staat. Die Kon­sti­tu­ti­on von 1808, hg. von der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on der Staat­li­chen Ar­chi­ve Bay­erns, Neustadt/Aisch 2008, S. 187f, Hand­buch der baye­ri­schen Ge­schich­te IV,1, Das neue Bay­ern 1800–1970, hg. von Max Spind­ler, Mün­chen 1974, S. 60 und Eber­hard Weis, Mont­ge­las, Bd. 2, Mün­chen 2005, S. 530.
  5. Hand­buch der baye­ri­schen Äm­ter, Ge­mein­den und Ge­rich­te 1799–1980, hg. von Wil­helm Vol­kert, Mün­chen 1983, S. 89f.
  6. Zu den Ver­än­de­run­gen der Rol­le des Bür­ger­mei­sters in der baye­ri­schen Kom­mu­nal­ver­fas­sung sie­he z.B. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCrgermeister_(19./20._Jahrhundert).
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