200 Jahre eigenständig – (k)ein Grund zum Feiern?
19. August 2018 | von Martin Schramm | Kategorie: Der besondere BeitragSeit einiger Zeit laufen die Veranstaltungen der Stadt Fürth zum Festjahr »200 Jahre eigenständig«. Dies reicht im Festprogramm von Vorträgen und Ausstellung über Illuminationen, Sportveranstaltungen und Begrünungen bis hin zu den Bayerischen Theatertagen.
Vereinzelt wurde jedoch die Frage laut, ob es für 2018 überhaupt einen Grund zum Feiern gebe, da Fürth bereits seit 1808 Stadt ist. Tatsächlich stand Fürth über Jahrhunderte als Marktflecken rechtlich zwischen der Dompropstei Bamberg, dem Markgraftum Brandenburg-Ansbach und der Reichsstadt Nürnberg. Diese drei Herren hatten nicht nur die üblichen grundherrschaftlichen Rechte an ihren Untertanen in Fürth, sondern stritten jahrhundertelang auch über landesherrliche Ansprüche, wie beispielsweise Gerichtsrechte oder den Kirchweihschutz. Einen »Herrscher«, der Fürth zur Stadt hätte erheben können, gab es daher nicht. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass Fürth schon im 19. Jahrhundert irrigerweise wiederholt als »Stadt« bezeichnet wurde.
Auch wenn die Konkurrenzsituation zwischen den drei Herren teilweise sogar Vorteile für Fürth bot, beispielsweise bei der Ansiedlung von Gewerbe, waren die Rechte, das Gemeindeleben und die Verwaltung selbst zu bestimmen, sehr eingeschränkt. Dies änderte sich mit der Übernahme des Markgraftums Brandenburg-Ansbach durch das Königreich Preußen 1791/92 wenig. Faktisch wurden Bamberg und Nürnberg auf lokaler Ebene weitgehend als Konkurrenz ausgeschaltet. Wegen der napoleonischen Kriege lagen die Schwerpunkte in der Verwaltung und im Alltagsleben aber woanders. Immerhin wurde in dieser Zeit ein neues Verwaltungsgebäude errichtet. Stadtrechte erhielt Fürth nicht.
Dies blieb zunächst auch im neuen Königreich Bayern so, an das Fürth im Jahr 1806 fiel. Die neu gewonnen Territorien sollten zusammen mit den altbayerischen Gebieten zur Vereinheitlichung eine neue Verwaltung bekommen. Ein erster Schritt hierzu war die Konstitution von 1808 mit den zugehörigen Edikten. Hierin wurden beispielsweise die Vorgänger der heutigen Regierungsbezirke (damals noch nach Flüssen benannt) ins Leben gerufen. Auch Maße, Münzen und Gewichte wurden nach und nach angepasst.
Darüber hinaus wurden für die Verwaltung der Gemeinde neue Vorschriften erlassen. Festgelegt wurde beispielsweise, dass die Städte der ersten bis zur dritten Klasse rein nach der Anzahl der Einwohner aufzuteilen seien. Nach entsprechenden Erhebungen wurde Fürth 1808 erstmals zur Stadt, nämlich »II. Classe«[1]. Zugleich beendete Paragraph II des ersten Teils der Konstitution die »besonderen Verfassungen, Privilegien, Erbämter und Landschaftliche[n] Kooperationen«. Dies bedeutete für Fürth das genaue Gegenteil von Eigenständigkeit oder Selbstverwaltung. Die Stadt verlor all ihre Rechte und wurde fortan – wie alle Gemeinden des Königreichs – von bayerischen Staatsbeamten als Untergebene der Regierung von Ansbach verwaltet. Ein Mitspracherecht der Einwohner gab es nicht, lediglich eine marginale Möglichkeit zur »Beratung«. Fürth hatte damit selbst seine wenigen Rechte aus Zeiten der Dreiherrschaft verloren, beispielsweise im Justiz- und Finanzbereich. 1808 kann daher schwerlich für ein Jubiläum herangezogen werden.
Schnell zeigte sich nach 1808, dass die zentrale Verwaltung aller bayerischen Gemeinden die zuständigen Behörden überforderte. Aus diesem Grunde wurde die Gemeindeordnung bald einer Revision unterzogen. Die Umsetzung dauerte bis 1818 in Form der Verfassung und der zugehörigen Edikte. Erst zu diesem Zeitpunkt erfolgte die »Wiederbelebung der Gemeinde-Körper durch die Wiedergabe der Verwaltung der ihr Wohl zunächst berührenden Angelegenheiten«[2] – die Kommunen sollten sich eigenständig um ihre Zuständigkeiten kümmern. In der wissenschaftlichen historischen Forschung ist daher Konsens, dass die Gemeindeverfassung von 1818 DER Zeitpunkt der Wiederherstellung bzw. Erlangung kommunaler Selbstverwaltung ist. So heißt es beispielsweise bei Peter Claus Hartmann, dass der Rücktritt des bis dahin maßgeblich entscheidenden bayerischen Politikers Maximilian von Montgelas, den »Weg frei [machte] für die Wiederherstellung der gemeindlichen Selbstverwaltung.«[3] Vergleichbar äußern sich die anderen Standardwerke zur bayerischen (Verfassungs-)Geschichte.[4] Dabei steht außer Frage, dass es bis zur Selbstverwaltung im heutigen Sinne noch ein weiter Weg war. Die Verfassung von 1818 mit den anschließenden Edikten war jedoch der Beginn der modernen kommunalen Selbstverwaltung, auch wenn viele Rechte beispielsweise erst durch die Weimarer Verfassung von 1919 eingeräumt wurden, andere aber auch wieder verloren gingen.
Aufgrund der Einwohnerzahl wurde Fürth 1818 zur Stadt »I. Classe«. Dies war für die Selbstverwaltungsrechte von entscheidender Bedeutung. Während Städte erster Klasse als (mit der heutigen Bezeichnung) kreisfreie Städte direkt der Regierung in Ansbach als Aufsichtsbehörde zugeteilt waren, standen Märkte und kleinere Städte unter der Aufsicht der heutigen Landkreise, also eine Ebene tiefer.[5] Da es in Fürth – anders als beispielsweise in den sogenannten freien Reichsstädten – früher viel weniger Selbstverwaltungsrechte gegeben hatte, war das Jahr 1818 ein erheblicher Einschnitt für die hiesige Selbstverwaltung und das lokale Selbstbewusstsein. Zwar stand Fürth als Gemeinde weiter unter »Staatskuratel«. Doch auch heute stehen selbst die kreisfreien Städte Bayerns noch unter der »Rechtsaufsicht« bzw. »Fachaufsicht« der Regierungsbezirke.
Es bleibt daher, dass Fürth erst ab 1818 als eigenständige Stadt einen eigenen Wirkungskreis hat(te). Hierzu gehör(t)en beispielsweise die innere Verwaltung, die Verwaltung des Gemeinde- und Stiftungsvermögens, das Steuererhebungsrecht, Bürgeraufnahmen und Gewerbebewilligungen, Bausachen und vieles mehr. Die Rechte haben sich in den letzten 200 Jahren immer wieder verändert, gingen zum Teil sogar weiter als sie es heute tun, z.B. mit einer Ortspolizei und Aufsichtsrechten über die Kirchen. Außerdem dürfen seit 1818 ein Stadtwappen und ein städtisches Siegel geführt werden. Wie bedeutend dies auch auf emotionaler Ebene war, zeigt das Fürther Stadtwappen. War in früheren Jahrhunderten eine Stadtmauer untrennbar mit den Stadtrechten (»Stadtluft macht frei«) verbunden, so brauchte es im 19. Jahrhundert keine aus Stein errichtete Stadtmauer mehr. Als jedoch 1835 das Fürther Stadtwappen eingeführt wurde, war das Kleeblatt von einer stolzen Stadtmauer bekrönt. Auch der erste Rathausbau in Fürth transportiert den Stolz der gewonnen Eigenständigkeit: Nicht ohne Grund trägt der klassizistische Neubau des Rathauses einen Turm, der in Anlehnung an die Rathäuser der eigenständigen oberitalienischen Stadtstaaten erbaut wurde. Darüber hinaus werden seit 1818 ein »Erster Bürgermeister« bzw. »Rechtskundiger Bürgermeister« und ein Stadtmagistrat vom Kollegium der Gemeindebevollmächtigten gewählt. Erst später wurden die Bezeichnungen »Oberbürgermeister« und »Stadtrat« eingeführt. Das Wahlrecht war seiner Zeit noch ein anderes, nicht im heutigen Sinne demokratisch.[6]
Summa summarum ist das Entscheidende für das Feierjahr 1818 nicht die reine Bezeichnung »Stadt« von 1808, sondern auch das, was verwaltungstechnisch und nicht zuletzt emotional dahintersteht. Die Zeitgenossen waren 1818 begeistert, dass ihr Ort die Rechte (zurück)bekam, nicht 1808, als sie verloren gingen. Dass anderswo dieses Jahr nicht so intensiv begangen wird, mag daran liegen, dass die anderen Großstädte in Bayern zumindest als zeitweise Residenzstädte bis zur Begründung des Königreichs Bayern ohnehin viel weitergehende Rechte hatten als der Marktflecken Fürth. Erst durch die Eigenständigkeit 1818 erlebte Fürth nach dem wirtschaftlichen Niedergang unter Napoleon einen großen Aufschwung, der untrennbar damit verbunden ist.
2018 ist daher ein sehr gutes und wichtiges Jahr, um ein Stadtjubiläum zu begehen. Dies gilt umso mehr, als Feierlichkeiten gerade auch für die vielen Neu-Bürger zur Identifikation mit der neuen Heimat beitragen.
Dr. Martin Schramm ist Historiker in Fürth.
- RBl. 1808, 2789 und RBl 1808, 2405.
- GBl. 1818, 102.
- Peter Claus Hartmann, Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute, Regensburg 32012, S. 377.
- Vgl. hierzu auch Bayerns Anfänge als Verfassungsstaat. Die Konstitution von 1808, hg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Neustadt/Aisch 2008, S. 187f, Handbuch der bayerischen Geschichte IV,1, Das neue Bayern 1800–1970, hg. von Max Spindler, München 1974, S. 60 und Eberhard Weis, Montgelas, Bd. 2, München 2005, S. 530.
- Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799–1980, hg. von Wilhelm Volkert, München 1983, S. 89f.
- Zu den Veränderungen der Rolle des Bürgermeisters in der bayerischen Kommunalverfassung siehe z.B. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCrgermeister_(19./20._Jahrhundert).