Ludwig Erhard – Der talentierte Selbstdarsteller
1. November 2020 | von Hucky Schermann | Kategorie: PolitikEs ist einfach furchtbar: Verschiedene »Nestbeschmutzer« haben schon versucht, das Bild unseres verehrten Ludwig Erhard in Frage zu stellen. Dieses Bild, das er selbst lange Zeit immer weiter entwickelt hat. Erhard, der fast Widerstandskämpfer. Erhard, der Schöpfer der harten DM. Erhard, der Wirtschaftsweise. Erhard, der Erfinder der sozialen Marktwirtschaft. Erhard, das in der Wirtschaftswunderzeit real im Umfang gewachsene Sinnbild des wohlgenährten Bürgers, der vom Wohlstand für Alle profitiert hat. Erhard, der mit einem Baseballcap behütet durchaus heute noch die Bevölkerung ansprechen kann. Oder als Plastikmann von Hörl in Rot und Silber aufrecht von Stabilität zeugt. Wenn sogar der Oberbürgermeister in einem Schreiben an Ministerpräsident Markus Söder die Aufnahme Ludwig Erhards in die Walhalla beantragt, fragt man sich schon, was jegliche Kritik am präsentierten Bild des Ludwig Erhard soll.
Besonders der Kommunist Siegfried Imholz hat in seinem Landboten versucht, das Verhalten von Dr. Erhard während der Nazizeit als nicht ehrenhaft darzustellen. Auch der ehemalige Stadtheimatpfleger Alexander Mayer fand es wichtig, auf diese schwierige Zeit einzugehen. Doch nach dem Prinzip »Was kümmert es die Eiche wenn sich die Wildsau an ihr scheuert« haben es die privaten Initiativen »Stiftung Ludwig-Erhard-Haus« und »Ludwig-Erhard-Initiativkreis« geschafft, nicht nur das Geburtshaus zu sanieren, sondern auch das Ludwig Erhard Zentrum als nationales Projekt mit internationaler Ausstrahlung einrichten zu lassen. Und das mit wesentlicher Finanzierung durch staatliche Quellen.
Und nun kommt eine Journalistin der TAZ (sic!) daher und behauptet in ihrem Buch »Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen – Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind«, dass Ludwig Erhard ein naiver Ökonom, ein Opportunist und NS-Profiteur gewesen ist. In vier Kapiteln ihres Buches wird der Versuch unternommen, das Bild von Erhard als »Vater der sozialen Marktwirtschaft«, Motor des »Wirtschaftswunders« und »Schöpfer der DM« madig zu machen:
Kapitel 2: Kein Wunder: Das Wirtschaftswunder
Kapitel 3: Ludwig Erhard: Ein talentierter Selbstdarsteller
Kapitel 4: Die Rettung kommt von außen: Europa
Kapitel 5: Die »soziale Marktwirtschaft« war nicht sozial
Auch sonst taucht Erhard immer wieder mal auf.
Wer keine Lust auf’s Lesen hat, möge auf das Interview bei ‘jung & naiv’ Folge 451 ab Minute 54:00 zurückgreifen.
Die Autorin Ulrike Hermann hat dem Buch einen umfangreichen Teil Anmerkungen und eine große Literaturliste beigegeben.
Für die Tätigkeit von Ludwig Erhard während der NS-Zeit kommt sie zu ähnlichen Ergebnissen wie Imholz und Mayer. In einigen Punkten analysiert sie sogar gnadenloser, besonders wenn es die Versuche Erhards betrifft, sich in der Nachkriegszeit als Mann des Widerstands hinzustellen.
Erhard war nicht in der Partei und hat sich in seiner Zusammenarbeit mit hochrangigen Stellen des Systems, deren er sich auch rühmte, gut durch geschlängelt. Er war ja auch noch schlanker...
Mit seinen Berichten, Vorberichten und kriegswichtigen Gutachten hat er gut verdient. Er bekam z.B. – über seinen NS-Schwager Karl Guth vermittelt – 1942 sogar ein eigenes »Institut für Industrieforschung«. »Dieses Institut bestand zwar nur aus Erhard und seiner Sekretärin, wurde aber trotzdem üppigst dotiert. Für drei Jahre wurden jährlich 150 000 Reichsmark bewilligt.« (S.65).
In einem Gutachten »Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung« von 1944 für die »Reichsgruppe Industrie« – das auch der SS bekannt war – brauchte er 268 Seiten um festzustellen, dass der Staat seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Diese Denkschrift und sein Kontakt zu Goerdeler, der zum Verschwörerzirkel des 20.Juli 44 gehörte, wurden von Erhard später als Akte des Widerstands verkauft. Nach dem Krieg hat er sich in einem Brief an den US-Stadtkommandanten von Fürth als unbelasteter Gutachter mit Kontakten zum Widerstand empfohlen und darum gebeten, ihn doch mit höheren Aufgaben zu betrauen.
Das war dann der Anfang seiner Karriere bis zum Wirtschaftsminister in der Bundesrepublik unter Adenauer. In einem Interview mit Günter Gaus stellt er sich 1963 sehr souverän den Fragen und umgeht recht locker die für ihn schwierigen Passagen. U. Hermann bezichtigt ihn im Buch hier der Lüge. Vielleicht kann man auch von Verdrängung reden.
Nicht nur Hermann, sondern auch andere weisen nach, dass das Wirtschaftswunder kein Verdienst von Ludwig Erhard war, sondern so kommen musste. So auch der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser in der ‘Wirtschaftswoche’.
Ein wesentlicher Teil der Wirtschaftspolitik wurde von Adenauer eingefädelt – gegen die Einwände seines Wirtschaftsministers. Die damalige Europäische Zahlungsunion, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Rentenreform von 1957 waren nicht das Verdienst von Ludwig Erhard. Die paritätische Mitbestimmung war für Erhard auch so ein »faux pas« der Politik von Adenauer.
Er hatte große Unterstützung von einem Verein namens »Die Waage«. Hier waren einflussreiche Journalisten und diverse Industrielle versammelt. Sie vermarkteten Ludwig Erhard medial als »Vater der Währungsreform« und »Erfinder der sozialen Marktwirtschaft«. Diese »public relation« wirkt heute noch nach.
Seit seiner Honorarprofessur von 1947 ließ sich erhard nur noch als Professor titulieren und sammelte bis zum Lebensende 23 Ehrendoktortitel ein. Wissenschaftlich hatte er nicht mehr gearbeitet.
Während in den Großkonzernen die alten Eliten dominierten und in der Wachstumsphase auch durch Erhards Steuerpolitik hohe Gewinne machten, dauerte es zehn Jahre, bis ein Kartellgesetz in Kraft trat. Dieser »Markstein in der Geschichte des Wiederaufbaus« (Erhard) funktioniert aber bis heute nicht. Durch verschiedene Formen der Entflechtung, aber immer der alten Besitzstruktur verhaftet, hat sich im Prinzip nichts verändert. Eine Verstaatlichung war tabu. So verfügten 1960 noch 1,7 Prozent der Haushalte über 35 Prozent des Gesamtvermögens und kontrollierten 70 Prozent des Produktivvermögens (Firmenanteile, Immobilien, Ländereien). Die »soziale Marktwirtschaft« konnte für die Arbeitnehmer nur funktionieren, weil die Gewerkschaften recht stark waren und für ihr Klientel einen Teil der erwirtschaften Gewinne als Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung erstritten.
Nun zum LEZ als Tempel der Heroisierung des Ludwig Erhard. Obwohl es ja eine Ludwig-Erhard-Stiftung seit 1967 gibt, hat man in Fürth – seiner Geburtsstadt – einiges in Gang gesetzt, um hier seine Lebensgeschichte und Leistungen museal zu dokumentieren.
Der Katalog
Mit dem neuen Bau des Museums hat man ziemlich geklotzt. Man gab auch einen Katalog heraus, der sowohl vom Umfang als auch vom Preis eher einer Veröffentlichung zu hochrangigen Sonderausstellungen im Germanischen Nationalmuseum entspricht. Der Begleitband zur Ausstellung hat 260 Seiten und kostet im Buchhandel über 35 € – im Museum 25 €.
Die ersten 47 Seiten enthalten Grußworte der üblichen Art und Statements von Gründungsstiftern, also Beweihräucherungen. Von Seite 50 bis Seite 103 sind verschiedene Beiträge abgedruckt, die sich mit dem Bau des Zentrums und der Person Ludwig Erhards beschäftigen.
Am interessantesten fand ich da den Beitrag des wissenschaftlichen Kurators der Dauerausstellung Prof. Dr. Daniel Koerfer () unter dem Titel: »Fundamentaloptimist und Vater der sozialen Marktwirtschaft«. Hier beschreibt er recht gut die Anliegen von Erhard als Wirtschaftsminister und Kanzler und seine Aversion gegen eine sozialistische Zwangswirtschaft. Koerfer bejammert dabei sehr oft, dass in der Folgezeit der Staat zum Verschuldungs- und Versorgungsstaat wurde und mit dem Stopfen der Finanzlöcher nicht mehr zurecht kommt. Dieses Urteil ist richtig. Koerfer beschreibt aber auch, dass Erhard den freien, ungeregelten und ungezügelten Markt als Freibeutertum bezeichnete. Der Staat hätte Regeln und Rahmenbedingungen für den Wettbewerb festzulegen, deren Einhaltung zu überwachen, müsste Kartelle bekämpfen, Vertragssicherheit ebenso wie eine moderne Infrastruktur garantieren, qualifizierte Ausbildung für möglichst viele sichern und den Einzelnen vor den schlimmsten Folgen des wirtschaftlichen Scheiterns bewahren. Diese Kernkompetenzen des sozialen Staates sind hier gut beschrieben.
Leider vermisse ich hier weiteres Gejammer von Koerfer: Nämlich, dass die steuerlichen Mittel, die der Staat für diese Aufgaben braucht, von großen Teilen der Wirtschaft und ihrer Profiteure nicht erbracht werden. Im Gegenteil: Durch raffinierte Finanztricks, steuerliche Schlupflöcher und massive Transaktionen in Steuerparadiese werden große Beträge veruntreut. Die Rezepte von Erhard helfen hier nicht weiter! Ich gehe davon aus, dass diese Dinge in der Ausstellung nicht zur Sprache kommen werden.
Von S. 106 bis 158 sind dann Zeitzeugeninterviews abgedruckt, welche die studierte Lehrerin Evi Kurz als Journalistin geführt hat. Kissinger muss natürlich dabei sein. Oscar Schneider wurde hervorgeholt und die Hausdame im Kanzler-Bungalow durfte aus dem Nähkästchen plaudern. Aufschlussreich sind für mich drei Interviews:
Dr. Julia Dingwort-Nusseck erläutert gut die ordoliberale Schule aus der Erhard kommt und plädiert für eine Mittelstandspolitik, welche es ihrer Meinung nach nicht mehr gibt.
Rudolf Stilcken erzählt, wie führende Unternehmen über den Verein »Die Waage« Öffentlichkeitsarbeit mit einigem medialen Aufwand das Schlagwort von der »sozialen Marktwirtschaft« in ihrem Sinne verbreitet haben.
Die frühere Leiterin der PR- und Werbeabteilung des Versicherungskonzern Agrippina Luise Gräfin Schlippenbach vertritt wie heute Friedrich Merz vehement die Meinung, dass der Versorgungsstaat zurückgefahren werden muss und zum Umlageverfahren der Rente ein Kapitaldeckungsverfahren ausgebaut werden muss. Freie Unternehmer dürfen nicht in das Zwangssystem Rente hineingezwungen werden.
Erst von S. 162 bis 255 wird die Dauerausstellung präsentiert. Im vorliegenden »Katalog« sind nur die jeweiligen Raumtexte der Ausstellung in sehr großer Schrift abgedruckt und mit großzügigem Bildmaterial unterfüttert. Die vertiefenden Themen- und Objekttexte sind hier nicht dokumentiert. Eine Recherche in Bezug auf die Kritikpunkte von Ulrike Hermann und anderen Autoren kann so nur durch den Besuch der Ausstellung geschehen.
Der Raum 7 (im Altbau 1. Stock) unter dem Thema »Die Lehre von der Wirtschaft« sollte näher erforscht werden. Hier taucht auch Friedrich August von Hayek auf. Er ist ja der wichtigste Vertreter des Neoliberalismus.
Auch der Nachbarraum 8 mit dem Titel »Orientierungsversuche« scheint interessant zu sein, da hier der Vertrag mit dem »Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware« vorliegt.
Die Räume 10 (Ludwig Erhard im »3. Reich«) und 11 (Überlegungen für die Nachkriegszeit) könnten Dokumente beinhalten, die Erhards Verstrickungen im NS-System zeigen.
Im Neubau schließlich scheint im Teil 1 auch Erhards unsägliche Rolle bei dem Restitutionsverfahren (1947) des 1935 arisierten Porzellanherstellers Rosenthal zu entdecken sein. Dort im Teil 2 müsste der Brief einzusehen sein, mit dem sich Erhard bei der Militärregierung selbst empfohlen hat.
Im Teil 3 scheint die chaotische Amtsführung als bayerischer Wirtschaftsminister zur Sprache zu kommen.
Im Teil 4 »Marktwirtschaftlicher Urknall« werden auch die Verlierer der Währungsreform erwähnt und Erhards Leitsätzegesetz ausgestellt. Der Generalstreik 1948 gegen die eingefrorenen Löhne und steigende Preise bleibt nicht unerwähnt.
Im Teil 5 wird die »Idee der sozialen Marktwirtschaft« dargestellt und im »Katalog« versinnbildlicht durch einen Vater, der mit seinem Sohn 1966 beim Autowaschen ist (sehr sinnig).
Im Teil 6 »Wahlsieg der sozialen Markwirtschaft« wird gezeigt wie Erhard, der programmatisch eher der FDP nahestand, als Wirtschaftsminister unter Adenauer für die CDU (der er nicht angehört) Stimmen sammelt.
Im Teil 7 wird auf die Koreakrise (1950) als spätere Initialzündung für das Wirtschaftswunder mit ständigen Steigerungsraten eingegangen.
Im Teil 8 »Wohlstand für alle« und im Teil 9 »Leben im Wirtschaftswunderland« wird wieder durch seltsames Bildmaterial einesteils Erhardkult betrieben und andernteils wenig Inhaltliches erläutert.
Das Verhältnis von Adenauer und Erhard wird in Teil 10 gezeigt und die etwas glücklosen Kanzlerjahre in Teil 11 scheinen in der Ausstellung in einer Vitrine dargestellt worden zu sein.
Die Weichenstellungen nach Ludwig Erhard (Teil 12) und die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft (Teil 13) beschließen den Ausstellungsteil im »Katalog«.
Mit diesem kiloschweren Monstrum von »Katalog« werde ich nicht in die Ausstellung gehen. Die Aufmachung mit großer Schrift und großen Bildern im Ausstellungsteil ist beabsichtigt und scheint dem Zeitgeist entgegenzukommen: Wenig Text – viel Bild.
Selbstdarstellung durchzieht irgendwie den Weg zu Freiheit, sozialer Marktwirtschaft, Wohlstand für alle.
Vielleicht werde ich in einem Folgeartikel über die didaktischen Fallstricke der Dauerausstellung schreiben. Mal sehen, es könnte ja noch Material für die Hand von Lehrkräften geben. Der Eintritt für Schulklassen ist frei.
Danke für Ihre zusammenfassende Dokumentation, werter Hucky Schermann!
Tatsächlich ist es furchtbar, dass im LEZ mit unseren Steuergeldern neoliberale Propaganda betrieben wird. Dagegen hat das Fürther Sozialforum in Zusammenarbeit mit vielen anderen auch schon wiederholt protestiert und gefordert:
Vollständige Darstellung von Erhards Wirken!
Keine Steuergelder für das Ludwig-Erhard-Zentrum!
Soziokulturelles Zentrum statt Ludwig-Erhard-Zentrum!
Außerdem wurde Ulrike Herrmann zu einer »Gegenlesung« bei der nächsten Preisverleihung eingeladen. Sie hat gern zugesagt, nach Fürth zu kommen, weil sie durch die Aufklärungsarbeit gegen das LEZ beeindruckt war. Wegen Corona musste der geplante Termin aber fürs erste abgesagt werden.