Al­les nur Thea­ter?

22. Juni 2010 | von | Kategorie: Der besondere Beitrag
Der Quelle-Turm in Nürnberg (Foto: Ralph Stenzel)

Der Quel­le-Turm in Nürn­berg (Fo­to: Ralph Sten­zel)

Am Abend des 1. Fe­bru­ars 2010 stan­den auf der Büh­ne des Stadt­thea­ters ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter von Pri­mon­do und Quel­le. Für sie wur­de die Büh­ne zu ei­nem Raum, in dem nur ih­re Er­in­ne­run­gen und Ge­füh­le, nur ih­re Äng­ste und Hoff­nun­gen von Be­deu­tung wa­ren.

Noch ist der Vor­hang ge­schlos­sen. Vor dem ro­ten Samt steht ein ein­sa­mer Sta­pel Ka­ta­lo­ge. Quel­le-Ka­ta­lo­ge. Denn um die Quel­le geht es an die­sem Mon­tag­abend im Stadt­thea­ter Fürth. Um die Quel­le GmbH, um die Pri­mon­do GmbH und vor al­lem um die ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­ter der in­sol­ven­ten Un­ter­neh­men. Et­wa 4.000 Men­schen ha­ben ih­ren Ar­beits­platz ver­lo­ren. Acht von ih­nen wa­gen den Schritt auf die Büh­ne. Ma­chen öf­fent­lich, was sonst zwar im­mer ein Po­li­ti­kum ist, aber meist im Pri­va­ten er­tra­gen wird – Ar­beits­lo­sig­keit und Ohn­macht.

Ei­nen von den Ka­ta­lo­gen wür­de die äl­te­re Da­me ne­ben mir üb­ri­gens gern mit nach Hau­se neh­men. Als Sou­ve­nir. Nein, sie selbst sei nicht bei der Quel­le ge­we­sen. Aber schließ­lich sei ja die gan­ze Stadt be­trof­fen. Des­we­gen er­war­te sie auch, dass Fürths Ober­bür­ger­mei­ster an die­sem Abend zu den Men­schen spricht.

Der Vor­hang geht auf. Ka­ta­lo­ge – Sou­ve­nirs im Wort­sin­ne – ste­hen sta­pel­wei­se un­ter Hockern. Und in der Mit­te der Kar­ton mit dem blau­en Quel­le-Kle­be­band. Kei­ner der ehe­ma­li­gen Quel­le- und Pri­mon­do-Mit­ar­bei­ter muss selbst auf die Büh­ne tre­ten. Wer möch­te, kann sei­nen Text von ei­nem pro­fes­sio­nel­len Schau­spie­ler vor­tra­gen las­sen. Doch die mei­sten er­grei­fen selbst das Wort. »Man­che ha­ben erst im Lau­fe des er­sten Ge­sprächs fest­ge­stellt, dass sie das sel­ber ma­chen wol­len«, sagt Thea­ter­päd­ago­ge Jo­han­nes Bei­ssel, der die Idee zu die­sem Pro­jekt hat­te. Die Idee zu die­sem Abend, der kei­ne ideo­lo­gi­sche Stel­lung­nah­me sein soll, son­dern ein Fo­rum für die Men­schen. »Die­ser Abend ist ei­ne der letz­ten Mög­lich­kei­ten zur Ver­ar­bei­tung der Er­eig­nis­se, ein wür­di­ger Rah­men für die Trau­er­ar­beit. Das Pro­jekt ist aber auch ei­ne Ge­le­gen­heit, sei­nen Stolz zu­rück­zu­be­kom­men.«

Als er­ster Quel­le-Mit­ar­bei­ter tritt Jo­sef Bößl auf die Büh­ne. Schau­spie­ler Han­nes See­bau­er liest sei­ne Er­in­ne­run­gen an den Tag, an dem der Sach­be­ar­bei­ter die Blu­men ne­ben der Auf­er­ste­hungs­kir­che in kräf­ti­gen Far­ben leuch­ten sah – be­vor er da­mit kon­fron­tiert wur­de, dass er ab dem 1. No­vem­ber 2009 frei­ge­stellt sei. Frei­ge­stellt. Jo­sef Bößl und Han­nes See­bau­er tre­ten schließ­lich ge­mein­sam in den Hin­ter­grund. Mit ru­hi­ger Ge­ste legt der Schau­spie­ler dem Sach­be­ar­bei­ter die Hand auf den Rücken. Und drückt da­mit ver­mut­lich aus, was wohl auch die Da­me ne­ben mir mit ih­rem Be­such des Thea­ter­abends zum Aus­druck brin­gen möch­te: So­li­da­ri­tät.

Für vie­le der Men­schen, die an die­sem Abend auf der Büh­ne ste­hen, war die Fir­ma über lan­ge Jah­re ein wich­ti­ger Teil ih­res Le­bens. Mit dem Ver­lust geht je­der auf sei­ne Wei­se um. Win­fried Ler­net ar­bei­tet mit Klang­scha­len, um die Ver­än­de­rung in sei­nem Le­ben bes­ser ver­ar­bei­ten zu kön­nen. Li­sa Hall­mei­er re­agiert in ih­rem Text mit bit­ter­sü­ßer Iro­nie. Si­byl­le Man­tau setzt kraft­voll ein Quel­le-Med­ley in Sze­ne. In ei­ner tür­kis­far­be­nen Kit­tel­schür­ze tritt sie auf die Büh­ne und öff­net den Quel­le-Kar­ton. »Schuld war nur die Wirt­schafts­kri­se«, singt sie in An­leh­nung an den Bos­sa No­va, mit dunk­lem Bin­der schafft sie den Sprung in die Welt des Ma­nage­ments und kommt schließ­lich bei der bra­ven Mit­ar­bei­te­rin an, sie lässt zu Schun­kel­mu­sik die Ma­na­ger­rie­ge Re­vue pas­sie­ren, zi­tiert mit »Ei­ne In­sol­venz von Quel­le wä­re ab­wend­bar ge­we­sen« Tho­mas Mid­del­hoff und en­det mit »Ei­ne neue Stel­le ist wie ein neu­es Le­ben«.

Nein, sie wol­len sich nicht un­ter­krie­gen las­sen. Nach drei Wo­chen Pro­ben­ar­beit wa­ren sie so­weit, ih­re ehe­ma­li­ge Ar­beits­welt und ih­re Ar­beits­lo­sig­keit auf der Büh­ne zu the­ma­ti­sie­ren. »Si­cher hat der Abend auch the­ra­peu­ti­schen Wert. Ge­teil­tes Leid ist hal­bes Leid. Aber auch das Ge­fühl, ge­mein­sam stark für die Zu­kunft zu sein, ist wich­tig«, stellt Jo­han­nes Bei­ssel fest. Vor al­lem aber ging es den Teil­neh­mern dar­um, ih­re Sicht der Din­ge selbst dar­zu­stel­len. Nicht im­mer nur zu­hö­ren zu müs­sen, wenn an­de­re über das be­rich­ten, was sie er­le­ben, das schafft Sub­jek­ti­vi­tät. Und die war hier ge­fragt, ja so­gar ge­wünscht. Denn ein Mas­sen­schick­sal gibt es nicht, Ar­beit für al­le ver­mut­lich eben­so we­nig. Aber Men­schen, die sich den Ent­schei­dun­gen der Wirt­schafts­mäch­ti­gen, de­ren Er­fol­gen und Miss­erfol­gen oft aus­ge­lie­fert füh­len, wol­len ih­re Ohn­macht über­win­den. Ge­hört zu wer­den, das wird in solch ei­ner Si­tua­ti­on zu ei­ner Fra­ge des Re­spekts. Und wer ge­hört wer­den woll­te, der konn­te den Abend mit­ge­stal­ten, konn­te sich nach ei­nem Auf­ruf mit Hand­zet­teln mit sei­ner ei­ge­nen Ge­schich­te, mit sei­nen ei­ge­nen Tex­ten mel­den und die Büh­ne er­obern.

Mo­ni­ka Foll­mer hat das ge­tan. Ein­drucks­voll hat sie mit ih­rem sanf­ten Mär­chen »Das klei­ne Mäd­chen aus dem Ba­nat« Emo­tio­nen und Ver­ständ­nis ge­weckt. Das klei­ne Mäd­chen träum­te im Ba­nat von der Wun­der­welt der bun­ten Wa­ren, die es aus dem Quel­le-Ka­ta­log kann­te, der den wei­ten Weg zu ihr im Ge­fol­ge ei­ner Tief­kühl­tru­he ge­fun­den hat­te. Die Tief­kühl­tru­he war das Ge­schenk ei­nes On­kels aus Re­gens­burg. Das klei­ne Mäd­chen kam als jun­ge Frau in den gol­de­nen We­sten und ar­bei­te­te – weil Träu­me im Mär­chen ja manch­mal wahr wer­den – 19 Jah­re bei der Quel­le. Von und für die Quel­le hat sie ge­lebt. Und mit ih­ren Kol­le­gen wie die Lö­wen dar­um ge­kämpft, dass es wei­ter­geht. Um am En­de auf der Büh­ne des Für­ther Stadt­thea­ters zu sit­zen und in ei­nem Quel­le-Ka­ta­log zu blät­tern.

Ge­kämpft hat auch Bea­trix Zens­ner. Sie war Be­triebs­rä­tin, muss­te ler­nen, ih­re Angst zu über­win­den. »In den Näch­ten ha­be ich ge­heult und ge­schrien«, be­kennt sie auf der Büh­ne. An der Ohn­macht und der Ver­ant­wor­tung wä­re sie fast zu­grun­de ge­gan­gen. Von der Ar­beits­agen­tur hat sie er­fah­ren, dass ihr Ver­dienst als Call­cen­ter-Mit­ar­bei­te­rin 100 Eu­ro un­ter der Ar­muts­gren­ze lag. Den Druck und die man­geln­de An­er­ken­nung die­ser Zeit ver­sucht sie nun mit the­ra­peu­ti­scher Hil­fe zu über­win­den. Ih­re Wut ver­rät ih­re En­er­gie. En­er­gie, die nun in die Zer­stö­rung der Ka­ta­lo­ge auf der Büh­ne mün­det. Jetzt blie­be ihr wohl kein Ka­ta­log mehr als Sou­ve­nir, kon­sta­tiert die Da­me ne­ben mir. Doch Dr. Tho­mas Jung, Ober­bür­ger­mei­ster von Fürth, er­füllt ih­re Er­war­tung. Er tritt auf die Büh­ne, spricht gut und gibt den Men­schen das Ge­fühl, heu­te ge­hört wor­den zu sein. Jetzt feh­len nur noch neue Jobs.

 
An­drea Him­mel­stoß ist Fach­frau in Sa­chen Mar­ke­ting & Kom­mu­ni­ka­ti­on. Sie ar­bei­tet als Wer­be­tex­te­rin und freie Jour­na­li­stin und be­treibt »Das Text­haus« in der Für­ther Waag­stra­ße.

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15 Kommentare zu »Al­les nur Thea­ter?«:

  1. Pres­se­spie­gel: »Wenn der Klein­geist gro­ße Re­den schwingt« (Ge­stal­ten statt ver­wal­ten)

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