Na­zi-Auf­marsch in mei­ner neu­en Hei­mat­stadt – wo bin ich?

18. Februar 2012 | von | Kategorie: Politik

Fürth schickt sich an, der Welt sein jü­di­sches Er­be an­zu­die­nen – und die Welt soll er­ben – die­se reich­hal­ti­ge und so prä­sen­te Spur jü­di­scher Kul­tur!

Nazi-Aufmarsch am 18.02.2012 (Foto: Wolfgang Schreyer)

Na­zi-Auf­marsch am 18.02.2012 (Fo­to: Wolf­gang Schrey­er)

Ja, Fürth ist ein­ma­lig und als »Neig­schmeggd­er« ha­be ich mich noch lan­ge nicht satt­ge­se­hen. Ich bin jetzt in ei­ner schö­nen, ide­al gro­ßen, le­ben­di­gen und le­bens­wer­ten Stadt ge­lan­det. Am Sams­tag aber, mei­nen wo­chen­end­li­chen Ein­kaufs­bum­mel durch die Schwa­ba­cher­stra­ße ab­sol­vie­rend, über­kam mich das Grau­sen: Po­li­zei­uni­form­trä­ger in mar­tia­li­schem Out­fit, Grü­ne Min­nas mit blit­zen­dem Blau­licht und... laut­stark ver­nehm­ba­re und im Gleich­schritt mar­schie­ren­de Na­zis mit un­säg­li­chen Pa­ro­len un­weit des Be­rolz­hei­me­rian­ums.

Ein Schau­er er­fasst mich, erst­ma­lig er­le­be ich die­se Ir­ren leib­haf­tig – so­weit ich es ein­schät­ze über­wie­gend jun­ge Mar­schie­rer. Ca. 100 an der Zahl. In Fürth. Muss ich das to­le­rie­ren? Ge­dan­ken, Wut, Ohn­macht er­fas­sen mich: Was wä­re, wenn der Bun­des­tag ei­ne Ver­fass­sungs­än­de­rung be­schlös­se, der­zu­fol­ge der­lei schlicht ver­bo­ten wer­den wür­de? Na­zi sein und dies zu zei­gen ein­fach il­le­gal? Kann er doch, der Bun­des­tag. Mit zwei­drit­tel Mehr­heit. Kon­ster­niert blei­be ich ste­hen. Ir­gend­wie schäm’ ich mich.

Für­the­rIn­nen: Wehrt Euch ge­gen die Ver­ein­nah­mungs­ver­su­che, den­ke ich. Schreie laut: Na­zis raus! Wie lan­ge schau­en wir und schau­en die so­ge­nann­ten Ver­fas­sungs­schutz­or­ga­ne noch zu? Was schüt­zen die ei­gent­lich? Ich bin trau­rig. Fürth: Er­ben soll die Welt Dei­ne jid­di­sche Kul­tur. Ja. Kraft­voll ist das Vor­bild des jü­di­schen Bür­ger­sinns, sei­nes Mä­ze­na­ten­tums und der Spu­ren, die es bis heu­te prä­gen. Das Le­ben, das Zu­sam­men­le­ben. Mit In- und Aus­län­dern, Rei­chen und we­ni­ger Rei­chen, Schlips­trä­gern und Blau­män­nern, Jun­gen und Al­ten, Chri­sten und Mos­lems und Ju­den und Athe­isten. Ja. Fürth muss der Welt ei­ne Bot­schaft für To­le­ranz und Ver­ständ­nis ge­ben. Na­zis sind da­von aus­ge­nom­men. Raus mit Ih­nen. Ich mag Euch nicht mehr se­hen hier.

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5 Kommentare zu »Na­zi-Auf­marsch in mei­ner neu­en Hei­mat­stadt – wo bin ich?«:

  1. Werner Schmidt sagt:

    Ich ha­be die­sen »Spuk« auch mit be­kom­men. Um 14 Uhr woll­te ich vom Für­ther Hbf mit der S‑Bahn nach Nürn­berg zur Bio­fach fah­ren und wun­der­te mich, dass so viel Po­li­zei am Bahn­hofs­platz, in der Bahn­hofs­hal­le und der Un­ter­füh­rung war – mehr Be­am­te als Fahr­gä­ste ... Selt­sam – sonst sind die im Ein­satz wenn die Spiel­ver­ei­ni­gung spielt – aber es war ja Sams­tag.

    Erst als ich die Stim­me aus ei­ner Laut­spre­cher­an­la­ge auf dem Bahn­hofs­platz hör­te und den Text re­gi­strier­te wur­de ich stut­zig. Da stan­den et­wa 60 über­wi­gend schwarz ge­klei­de­te, teil­wei­se mit Ka­pu­ze und hiel­ten vier Trans­pa­ren­te. Al­ler­dings schie­nen die we­nig­sten aus Fürth zu sein. Auf ei­nem Trans­pa­rent stand z.B. »13. Fe­bru­ar 1945 – Dres­den ...« oder »Wir kämp­fen für euch – Ka­me­rad­schaft Mün­chen«. Der Spre­cher nann­te sei­nen Na­men und mein­te »ich spre­che zu den Für­ther Bür­gern usw.« Am Abend hör­te ich dann von ei­ner Ge­gen­de­mo in Dres­den und dass die Rech­ten ih­ren Auf­tritt in Dres­den ab­ge­sagt hat­ten – ein Teil ist an­schei­nend nach Fürth ge­fah­ren ...

    Na­tür­lich muß man das the­ma­ti­sie­ren. Aber an­ge­sichts der ge­rin­gen Teil­neh­mer­zahl er­schien der Hau­fen eher lä­cher­lich. Fürth ist si­cher kei­ne Stadt mit über­durch­schnitt­li­chem Rechts­po­ten­ti­al. Ein Blick auf die Wahl­er­geb­nis­se der letz­ten 10 Jah­re zeigt, dass es für NPD, REP und DVU max. 2,9% (Be­zirks­tag 2003) und mi­ni­mal 1,9% (Eu­ro­pa­wahl 2009) wa­ren – oder in Stim­men um­ge­rech­net zwi­schen 600 und 1200. Zu­min­dest am Bahn­hof wur­den die­ser Auf­tritt von kaum je­man­den be­ach­tet. Ich ha­be dann noch ein paar Fo­tos ge­macht um das zu do­ku­men­tie­ren (und die S‑Bahn ver­passt die auf die Se­kun­de pünkt­lich fuhr ...)

  2. Gerhard Wollfelder sagt:

    Ja Herr Schrey­er, es ist er­schreckend, was die­se Na­zis sich in Fürth, un­ter dem Deck­man­tel der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung, al­les er­lau­ben dür­fen.

    Auch bzgl. ei­ner Grund­ge­setz­än­de­rung, ge­be ich Ih­nen Recht. Das Grund­ge­setz hat, seit sei­ner Ein­füh­rung, 60 Än­de­run­gen er­lebt. Z. B. greift der Art. 139 (Ent­na­zi­fi­zie­rung) längst nicht mehr. Hier könn­te man doch z. B. ei­nen Ar­ti­kel ein­füh­ren, der al­le Or­ga­ni­sa­tio­nen, die na­tio­nal­so­zia­li­sti­sche, ras­si­sti­sche, so­zi­al­dar­wi­ni­sti­sche, ho­mopp­ho­be.... Zie­le ver­fol­gen, im An­satz ver­bie­tet. Man hät­te kein Pro­blem, so was wie die NPD, freie Ka­me­rad­schaf­ten, ari­sche Kampf­bün­de etc. zu ver­bie­ten. So wur­de aus der vom baye­ri­schen In­nen­mi­ni­ster Beck­stein ver­bo­te­ne FAF (Frän­ki­sche Ak­ti­ons­front), kur­zer­hand das freie Netz Süd usw. Die Fra­ge tut sich al­ler­dings auf: will der Staat dies, oder war­um will er es nicht? Deutsch­land hät­te, vor dem Hin­ter­grund des Zeit­ge­sche­hens, mehr als nur ei­ne po­li­ti­sche oder mo­ra­li­sche Ver­pflich­tung zu ei­nem sol­chen Schritt.

    Herr Schmidt, sie schrei­ben »Fürth ist si­cher kei­ne Stadt mit über­durch­schnitt­li­chem Rechts­po­ten­ti­al«, das stimmt nur be­dingt, da in Fürth ei­ne der Speer­spit­zen der frän­ki­schen Neo­na­zi­spit­zen seit Jah­ren ver­sucht, sich zu eta­blie­ren. So wur­den seit 2007 auf der mitt­ler­wei­le ge­schlos­se­nen »An­ti-An­ti­fa« Web­site, Na­zi­geg­ne­rin­nen mit Adres­se, Bil­dern und Auf­ru­fen, ge­gen die­se ak­tiv zu wer­den ver­öf­fent­licht. Die Neo­na­zis konn­ten seit 2007 Straf­ta­ten ge­gen Na­zi­ge­ge­ner­In­nen mit ei­nem Sach­scha­den von > 40.000 € ver­üben – straf­frei. Die Pol­zei wird an der Na­se her­um­ge­führt und kann kei­ner­lei Er­mitt­lungs­er­geb­nis­se vor­wei­sen.

    Die Na­zi­geg­ner hin­ge­gen kämp­fen ge­gen vie­le Fron­ten. Das Ein­tre­ten ge­gen Neo­na­zis führ­te da­zu, dass Na­zi­geg­ne­rIn­nen im­mer mehr in den Fo­kus der staat­li­chen Über­wa­chung ge­rie­ten. Der Ver­fas­sungs­schutz ver­un­glimpft z. B. das at­nifa­schi­sti­sche In­for­ma­ti­ons und DoO­ku­men­ta­ti­ons­ar­chiv (a.i.d.a.), als »links­extre­mi­stisch«. A.I.D.A. muss­te und konn­te sich aus dem Be­richt her­aus­kla­gen. Das USK (Un­ter­stüt­zungs­kom­man­do) hin­dert Ge­gen­de­mon­stran­tIn­nen (wie ge­stern in Fürth pas­siert), am Pro­test ge­gen die Neo­na­zis (wen un­ter­stützt das Un­ter­stüt­zungs­kom­man­do). Und die Für­ther Po­li­zei hat an­geb­lich ver­sucht, Bus­un­ter­neh­mer da­von ab­zu­hal­ten, Na­zi­geg­ne­rIn­nen nach Dres­den zu fah­ren.

    Die Sa­che in Fürth stinkt all­mäh­lich zum Him­mel. Heu­te Nacht wur­de im Üb­ri­gen der In­fo­la­den Be­na­rio an­ge­grif­fen, die Ja­lou­sien wur­den her­aus­ge­ris­sen, um ei­ne Schau­fen­ster­schei­be zu de­mo­lie­ren.

    Nach De­mos von Na­zi­geg­ne­rIn­nen in FÜrth (ge­gen die Eta­blie­rung der Neo­na­zi­sze­ne in FÜr­ther In­nen­stadt­knei­pen), schütz­te die Po­li­zei die­se Knei­pen stets durch Prä­senz. Der In­fo­la­den Be­na­rio, eben­falls von den Na­zis als An­griffs­ziel de­kla­riert, wur­de heu­te Nacht of­fen­sicht­lich nicht ge­schützt.

    Die Sa­che in Fürth stinkt all­mäh­lich zum Him­mel.

  3. An die­ser Stel­le wird die Dis­kus­si­on nun­mehr ge­schlos­sen und un­ter ei­nem neu­en Ar­ti­kel zum glei­chen The­ma wei­ter­ge­führt.

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