»Weil Stadt mehr ist als ein Haufen Häuser« – Der Gedanke hinter dem Verein ‘Wir sind Fürth’
20. November 2012 | von Felix Geismann | Kategorie: VermischtesDer im September 2012 neu gegründete Verein hat sich zuerst in die Diskussion um die Gustavstraße eingeschaltet und zuletzt mit der Vorbereitung eines Bürgerbegehrens zum Einkaufsschwerpunkt »Neue Mitte« Schlagzeilen gemacht. Der Slogan »Wir sind Fürth« soll ein Weckruf an alle sein, sich gemeinsam der Gegenwart und Zukunft unserer Stadt anzunehmen, heben die Gründungsmitglieder Sarah Stutzmann und Felix Geismann hervor und stellen für alle diejenigen, die es genauer wissen wollen, ausführlich vor, welcher Gedanke der Vereinsgründung zu Grunde liegt.
Seinen Anfang nahm alles in der Gustavstraße: Die zugespitzte Diskussion um die gewachsene Kneipenlandschaft kochte immer weiter hoch, und mehr und mehr Betroffene waren fest entschlossen, diese Diskussion zu versachlichen. Dieser Wunsch brachte Menschen aus den unterschiedlichsten Lagern zusammen: Parteipolitiker saßen zusammen mit Parteikritikern. Vereinsaktivisten mit Gegnern der Vereinsmeierei. Angestellte, Selbstständige, Hausfrauen, Schüler, Freiberufler, Künstler, Juristen und Handwerker. Alle waren sich einig: Die entgleiste Diskussion um die Gustavstraße greift unseren Lebensraum an.
Und ganz schnell mussten wir gemeinsam feststellen: Die Fürther Lebensqualität ist permanent noch vielen anderen Angriffen ausgesetzt. Fast überall liegt etwas im Argen, fast überall fehlen Information und Beteiligung, regelmäßig werden Sackgassen bis zum Ende gegangen, weil Verfahren »zu weit fortgeschritten« sind. Über die Grenzen aller Lager und Bevölkerungsschichten hinweg waren wir uns bald einig: Wollen wir das erhalten und weiterentwickeln was unsere Stadt Fürth ausmacht, so müssen wir aktiv werden!
Die Stadt, das ist mehr als ein Haufen von Häusern, kein neben‑, unter- und übereinander gestapeltes »gemeinsam einsam«, sondern ein sozialer Lebensraum. Die in demokratischer Mitbestimmung selbstverwaltete und selbstgestaltete, kommunale Gemeinschaft.
Fürths Zauber liegt in der außergewöhnlichen Kulisse, die die kleinteilige Struktur ästhetischer Altbauten und grüne Lungen, wie die Flussauen, dem öffentlichen Raum der Stadt verleihen. Gleichmäßig aber facettenreich ist das Gesicht, das sich trotz einiger Kahlschlag-Entgleisungen bis heute erhalten hat und Fürth so wohltuend abgrenzt vom in Beton gegossenen Einheitsbrei. Niemand nimmt heute mehr solches Geld für Gestaltung in die Hand. Niemand kann uns dieses Alleinstellungsmerkmal mehr rauben – wenn wir es nicht selbst mit dem Vorschlaghammer einreißen.
Fürth wurde nicht von Fürsten hochgezogen. Das bis heute prägende Jahrhundertwende-Stadtbild ist Verdienst einer Vielzahl selbstbewusster Bürger. Und auch der flächige Erhalt ist diesen heterogenen Eigentümer-Strukturen zu verdanken, während sich Stadtobrigkeit und Großunternehmen eine lange Liste krasser Abriss-Exzesse erlaubt haben, die weit gravierendere Abwertungen des Stadtbilds zur Folge hatten als die Fliegerbomben des Zweiten Weltkriegs.
Geht man an den Nachfolgebauten vorüber, so muss man sich bei den meisten von ihnen durch die mindere Qualität und Hässlichkeit ständig bestohlen zu fühlen. Man kann dann förmlich schmecken, dass mit ihrem Entstehen die im Grundgesetz verankerte Sozialpflichtigkeit des (Immobilien-)Eigentums ignoriert wurde. Und ein Ende dieses Abbruch-Irrsinns ist auch nach Jahrzehnten nicht in Sicht: »Neue Mitte« war Arbeitstitel der Beseitigung der Altstadt am Gänsberg, »Neue Mitte« heißt das neueste Großprojekt zu Lasten historischer Innenstadt-Bausubstanz. Wieso nur sind wir unfähig, dazu zu lernen? Haben wir, wie es der Dokumentarfilmer Dieter Wieland formuliert, die Fähigkeit verloren, über Gestaltung überhaupt nachzudenken? Wie können wir nach dem City-Center-Fiasko nur 50 Meter weiter den Kopf wieder in den Sand stecken als wäre nichts gewesen?
Was hilft das Autobahn-Etikett »Denkmalstadt«, wenn die Einsicht in die Notwendigkeit effektiver Denkmalpflege bis heute höchstens als Lippenbekenntnis existiert? Der Lebensqualität unserer Stadt hilft kein oberflächliches Standortmarketing. Wir brauchen eine sensible Stadtentwicklung, die dem Einzelfall gerecht wird und trotzdem das große Ganze im Blick hat. Eine Stadtentwicklung, die aus unserem einzigartigen Schatz an Bauwerken durch kreative (Um)nutzung das Maximum herausholt und die Notwendigkeit von gravierenden Eingriffen kritisch hinterfragt. Wir müssen die Courage haben, auch einmal »Nein« zu sagen, wenn der Bauträger mit einem Billigbauplan von der Stange vor der Tür steht. Gutes darf allerhöchstens Besserem weichen. Nachverdichtung ist grundsätzlich erst einmal besser als der ausufernde Flächenfraß. Doch jene Nachverdichtung um jeden Preis, die uns über die Ränder des Wasserschutzgebietes hinweg bis in die innerstädtischen Hinterhöfe verfolgt, um uns noch das letzte bisschen Grün und Luft zu nehmen, sie muss aufhören.
Nicht nur durch den Verlust unseres baulichen Erbes sind wir bedroht: Die Kontroverse um schärfere Sperrzeiten und Einschränkungen der Freischankflächen in der Fürther Altstadt lässt Begegnungs- und Kulturräume verschwinden. Jede Form von Veranstaltung droht primär als Gefahr für die Bettenstadt wahrgenommen zu werden. Gastwirte reduziert man auf ihr Profitinteresse – ohne das man das jemals bei Großunternehmen täte – und übersieht dabei so leichtfertig, dass sie uns die Räume für Zusammensein und Austausch zur Verfügung stellen. Offene Kulturräume jenseits des gesellschaftlichen 08/15-Angebots sind rar und werden immer noch rarer. Unsere Stadt droht in die Kulturdefensive zu geraten und ihr tolerantes und facettenreiches Gesicht zu verlieren.
Wir müssen ein starkes Netzwerk bilden, um die Bevölkerung und die Entscheidungsträger für diese Probleme zu sensibilisieren und um Einfluss darauf zu nehmen, dass die Eigenart unserer außergewöhnlichen Stadt bewahrt und aktiv weiterentwickelt wird, statt mit anzusehen, wie ihr Umbau und ihre Abwicklung an unseren Bedürfnissen vorbei verwaltet werden.
Viel zu viele fühlen sich politikmüde und ausgegrenzt. Sie haben sich mit dem Irrglauben abgefunden, selbst im unmittelbaren Umfeld, in der eigenen Stadt, nichts mehr verändern zu können. Sie haben sich von den Informationsflüssen scheinbar endlos komplexer Zusammenhänge ausschließen lassen und auf diese Weise abgegrenzt von den täglichen Entscheidungen über unser Lebensumfeld.
Dabei ist diese »Stadt Fürth« kein undurchdringbares und abstraktes Gebilde, keine dritte Person, die uns im Alltag nichts angeht. Fürth ist unser Lebens- und Schaffensraum, Fürth verbindet uns alle. Lasst uns das Recht an unserer Stadt einfordern! Das über Jahrhunderte gewachsene Straßenbild durch das wir gehen, es gehört uns allen. Jeder öffentliche Platz und jede Grünanlage ist genauso unser kollektiver Erholungsraum wie auch die Altstadt mit ihrer überschaubaren und abwechslungsreichen Kneipenlandschaft, genauso wie jedes über die Jahrzehnte und Jahrhunderte entstandene größere und kleinere gesellschaftliche Ereignis. Niemand wird unsere Stadt retten, wenn nicht wir es tun!
Wir lassen uns permanent ablenken von dem was wirklich wichtig ist (Stadionneubau: Problem ist die Verkehrsanbindung, nicht die Vögel!). Und vielleicht schwebt gerade deshalb über allem keine Vision mehr, sondern allgegenwärtig ein Rotstift. Die Stadtpolitik unterliegt dem Gebot, unseren Lebensraum zu verbessern, sie ist unserem öffentlichen Interesse verpflichtet. Doch für was interessieren wir uns als Öffentlichkeit schon noch? Niemand kontrolliert mehr mit kritischer Wachsamkeit, schon gar nicht mehr der Stadtrat. Von Wahl zu Wahl lässt man sich durch unüberlegte Versprechen treiben, füllt die Leere fehlender Visionen mit Aktionismus. Den Scherbenhaufen erbt der Nächste – Und (re)agiert kein bisschen schlauer. Die Verwaltung kocht (bestenfalls?) in Teilen noch ihr eigenes Süppchen vor sich hin, schlimmstenfalls ist sie dem neoliberalen Zeitgeist Tribut zollend bis zur Handlungsunfähigkeit eingedampft: Wichtige Ämter sind unterbesetzt, überlastet, gestrichen. Mit kontraproduktiven Entscheidungen für den Weg des geringsten Widerstands oder aus der Distanz des Elfenbeinturms heraus verspielt sie sich dann noch die letzte Akzeptanz, was wiederum dazu führt, dass es bei der nächsten Sparrunde auf noch weniger Widerstand stößt, sie noch weiter einzudampfen. Ein Teufelskreis, bis nichts mehr übrig ist.
Durchsetzungsfähiger sind da oft private Investoren, die in willkürlicher Gleichgültigkeit gegenüber unseren Interessen an der Stadt für das Lobbyarbeit leisten, was ihnen kurzfristiges Geld verspricht. Sie diktieren Großprojekte, bei denen der gesellschaftliche Nutzen mindestens fragwürdig und die Baukultur nachrangig sind. Sie bereichern sich viel zu oft nicht mit unserer Stadt – sondern an ihr. Während im ersteren Fall beide Seiten reicher werden könnten, verliert im letzteren die Gemeinschaft. Nicht allein indirekt im öffentlichen Raum, sondern unter dem Schlagwort »Privatisierung« auch ganz unmittelbar, wenn das von uns und den Generationen vor uns geschaffene kommunale Eigentum für privaten Profit auf unser aller Risiko und Rechnung verscherbelt wird. Was der Stadt gehört, gehört uns allen – was ihr genommen wird, verlieren wir gemeinsam.
Unser Verein will permanente Strukturen schaffen für alle Aktiven, Interessierten, Unterstützter, und jene die es werden wollen, um wachzurütteln: Keine Entscheidungen, die unseren Lebensraum Fürth betreffen dürfen an uns vorbei und über unsere Köpfe hinweg entschieden und hingenommen werden – Wir fordern Mitbestimmung und wollen Verantwortung übernehmen für unseren Stadtlebensraum. Denn: »Wir sind Fürth!«
Dem ist nichts hinzuzufügen, gut gebrüllt, Felix! Jetzt müssen nur noch die richtigen Leute diesen Text lesen und vor Allem, und das wird das Problem werden, ihn auch verstehen. Die lokale Verbundenheit ist leider bei allzuvielen heute einfach nicht mehr vorhanden, warum auch immer.
Wow. Ein ziemlich guter Rundumschlag, was die aktuelle Situation angeht. Ein Kompliment und bei der nächsten Gelegenheit bekommt ihr meinen Mitgliedsantrag ;-)
Klingt alles wirklich gut. Um glaubwürdig zu sein, hättet ihr euch aber einen anderen Gründungsort wählen müssen und nicht einen, wo Ausgrenzung stattfindet und ein »buntes« Fürth eben gerade nicht toleriert wird.
Die Grundeinstellung in der Darstellung von Felix ist sicher richtig und ehrenwert. Ob damit die Lethargie der Masse in Fürth verändert wird oder das Ganze als intellektuelle Spinnerei einer notorischen Neinsager-Clique (die nur ein öffentlichkeitswirksames Podium für persönliche Ambitionen sucht) endet, ist dadurch nicht sichergestellt. Fraglich ist auch, wie das auf potentielle Investoren wirkt und ob es den betroffenen Menschen (Innenstadt-Einzelhändlern) wirklich hilft. »Wir sind Fürth« ist schliesslich kein Wirtschaftsförderungs-Verein, sondern versteht sich eher als Kontrollorgan (anstelle des untätigen Stadtrats). Am Ende werden dadurch die Mauern der Veränderungssperren so hoch gezogen, dass der Stillstand die Stadtentwicklung vollends ruiniert.
Man kann zu Unternehmen wie P&P stehen wie man will. Ohne deren Baumassnahmen hätte man Perspektiven für Fürth gar nicht diskutieren brauchen.
Zum Thema Denkmalschutz erreichte uns folgender, über die aktuelle Diskussion zur »Neuen Mitte« hinaus argumentierender Brief an den Fürther Oberbürgermeister:
Zu der angesprochenen Parkgarage im veröffentlichten Brief: ich war schon länger nicht mehr in der Nürnberger Str., letzte Woche aber an dem fertigen Parkhaus vorbeigefahren. Dieses zieht das gesamte Erscheinungsbild des Ensembles dort so dermaßen in den Dreck, dass man nur noch Kotzen möchte. In den umliegenden Hinterhöfen werden schicke, hochwertige, Lofts entwickelt, und an prominenter Stelle vorne an der Straße baut man ein Parkhaus? Wer sowas zulässt, dem traue ich auch alles andere zu. Höchste Alarmstufe, es brennt an allen Ecken und Enden.
Pressespiegel: »Parkhaus mit Gardine sorgt für Ärger in Fürth« (FN)
Pressespiegel: »Stadt verteidigt die Parkhaus-Pläne« (FN)