Ehrenbrief für Willie Glaser
1. Juli 2010 | von Alexander Mayer | Kategorie: VermischtesWillie Glaser wurde 1921 in Fürth geboren. Kurz vor Kriegsausbruch 1939 konnte er nach Belfast (Nordirland) entkommen. Er trat in die Polnische (Exil-)Armee ein und landete mit dem kanadischen Kontingent 1944 in der Normandie zur Befreiung von Europa. Da seine Familie verschollen war, ließ er sich nach dem Krieg in Kanada nieder. Nach einem geschäftlich erfolgreichen Leben widmete er sich im Alter den Kontakten mit Fürth und der Forschung zur Frage: Wie konnte es zum Holocaust kommen?
Zunächst arbeitete er das Schicksal seiner Familie im Detail auf und kam nach umfangreichen Recherchen zu folgendem Ergebnis: Vater Ferdinand Glaser wurde in Auschwitz, seine Mutter Adele mit drei kleinen Geschwistern in Belzec ermordet.
Willie Glaser brach jedoch keinesfalls die Kontakte nach Deutschland und nach Fürth ab, was durchaus verständlich gewesen wäre. Schon 1998 initiierte er die Schenkung wertvoller hebräischer Drucke durch das Archiv des Canadian Jewish Congress an das Jüdische Museum Franken, im Jahre 2007 beteiligte er sich am Zeitzeugen Projekt der Leopold-Ullstein Schule.
In seinen zahlreichen öffentlichen Auftritten in Kanada als hochdekorierter Kriegsveteran hat er seine Fürther Zeit nie in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Durch die Aufarbeitung des Schicksals seiner Familie hat er der Geschichtswissenschaft wertvolle Hinweise zur Holocaustforschung geben können. Der Fürther Willie Glaser steht exemplarisch für ein Schicksal in einer bisher beispiellosen geschichtlichen Zäsur. Indem er selbst diese Zäsur bewältigt, hilft er uns, sie zu bewältigen.
Willie Glaser und das Schicksal seiner Familie im Detail:
1892 ließ sich die Familie Glaser in Fürth nieder. Ferdinand Glaser wurde 1914 Soldat in der österreichischen Armee, da sein Vater in Galizien geboren war. Nach Kriegsende heiratete er noch 1918 in Fürth Adele Krieser (*1895 in Auschwitz). 1921 wurde als zweites von insgesamt fünf Kindern Willie Glaser geboren. Nach dem 1. Weltkrieg war Galizien ein Teil von Polen geworden, deswegen erhielt die Familie Glaser die polnische Staatsangehörigkeit, Bemühungen um die deutsche Staatsbürgerschaft schlugen fehl.
Ab 1937 half Ferdinand gewerbsmäßig anderen Juden, ihr Mobiliar und persönliche Habe ins Ausland zu schaffen. Anfang August verließ Ferdinand Glaser Fürth, um über die Schweiz nach Frankreich auszureisen. Im August 1939 erhielt Willie Glaser die Einreiseerlaubnis für England, zu Kriegsbeginn waren damit Willie und Schwester Lottie Glaser in Nordirland, Ferdinand Glaser in Paris. In Fürth befanden sich seine Ehefrau Adele mit drei Kindern und deren Großmutter Esther.
Willie Glaser
Willie Glaser arbeitete zunächst von 1939 bis 1941 in Belfast. Bis Ende 1941 konnte der Briefkontakt mit Mutter Adele über das neutrale Irland aufrecht gehalten werden. Anfang 1941 meldete sich Willie Glaser zur Armee, 1943 wurde er zur 1. Polnischen Panzerdivision versetzt. Beim Eindringen der Roten Armee in Polen 1939/40 hatte sich diese Einheit nach Ungarn abgesetzt, gelangte fast vollständig nach Frankreich und bildete dort einen Teil einer polnischen Brigade, die später über Dünkirchen evakuiert wurde.
Willie Glaser wurde Funker und Geschützlader auf einem schnellen Spähpanzer. Am 6. Juni 1944 (»D‑Day«) begann die Operation Overlord (Alliierte Invasion in der Normandie), am 8. August 1944 landete die Erste Polnische Panzerdivision als integraler Bestandteil der Ersten Kanadischen Armee in der Normandie. Mitte August 1944 war Willie Glaser an der Einkesselung deutscher Truppen im Kessel von Falaise beteiligt, er verhörte aufgrund seiner Sprachkenntnisse mitunter deutsche Kriegsgefangene, darunter Mitglieder der 12. SS-Panzer-Division »Hitlerjugend« und der 1. SS-Panzer-Division Leibstandarte-SS Adolf Hitler. Letztere war die Division, die ein Jahr zuvor Vater Ferdinand Glaser gefangengenommen hatte (s.u.). Gefangene –zum Teil aus Franken und aus Fürth– sprach Willie Glaser gezielt darauf an, ob er selbst nun dem von Julius Streichers »Der Stürmer« geprägten Bild des »feigen Juden« entspreche.
Der polnische Panzertrupp wurde in Gefechten mit den bei den Alliierten gefürchteten schweren deutschen Panzern verwickelt. Willie Glasers Spähpanzer erhielt bei Chambois einen Treffer durch einen Panzer der SS, wobei zwei Besatzungsmitglieder getötet wurden. Kurz darauf gelang es dem Spähpanzer einen schweren deutschen Kampfpanzer abzuschießen – wofür der leichte englische Tank eigentlich nicht ausgelegt war. Die Besatzungsmitglieder erhielten deswegen das polnische Tapferkeitskreuz »Krzych Wlecznych«. Das Regiment bewegte sich dann nach Belgien und Holland, im November 1944 erreichten die Panzer die Maas, im April 1945 das deutsche Staatsgebiet, die letzte Kampfhandlung fand am 4. Mai nahe der Ortschaft Astederfeld (heute zu Zetel gehörig) statt. Im August 1945 löste das polnische Regiment als Teil der britischen Rheinarmee die in Aurich stationierten kanadischen Truppen ab, die nach Kanada zurückkehrten. Im März 1947 kehrte die Division nach England zurück und wurde ein halbmilitärische Einheit, das Polnische Umsiedlungskorps. Im Laufe des Jahres 1947 lud die kanadische Regierung etwa 5.000 polnische Veteranen dazu ein, sich in Kanada niederzulassen. Willie Glaser nahm dieses Angebot an.
Adele Glaser
Adele Glaser erhielt kurz nach Kriegsbeginn die Anweisung, ihre große Wohnung in der Schwabacher Straße 22 zu verlassen und zusammen mit einem Ehepaar eine Wohnung in die Hindenburgstraße 8 (heute: Rudolf-Breitscheid-Straße) zu beziehen. Das Gebäude war ein »Judenhaus«, auf Anordnung des städtischen Wohnungsamtes wurden besondere Quartiere für Juden eingerichtet.
Adele Glaser und die Kinder Bertha, Frieda und Leo wurden am 22. März 1942 nach Izbica deportiert und wurden entweder dort oder ‑wahrscheinlicher- in Belzec er-mordet. Esther Glaser starb drei Wochen nach der Deportation der Schwiegertochter und dreier Enkel im Jüdischen Krankenhaus Fürth (Theaterstraße 36).
Ferdinand Glaser
Der Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland vom 22. Juni 1940 beinhaltete die Teilung von Frankreich, zu den Bestimmungen des Waffenstillstandes gehörte die Auslieferung sämtlicher in Frankreich lebender Juden. Vom 29. Oktober 1940 bis 5. Dezember 1940 war Ferdinand Glaser im Internierungslager Gurs, später in anderen Lagern. Ferdinand Glaser floh und erreichte das von Italien besetzte französische Grenzgebiet. Die italienischen Behörden beteiligten sich dort an der Verfolgung der Juden kaum und so wurde der italienisch besetzte Grenzbereich zum Zufluchtsort für Juden aus Frankreich, Schätzungen sprechen von über 50.000 Juden (davon ca. die Hälfte Nicht-Franzosen) in diesem Gebiet.
Nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943 rückten deutsche Truppen in die bisher italienisch besetzten Gebiete Frankreichs ein, Glaser flüchtete über den Colle di Ciliegie nach Valdieri. In Valdierie war die 1. SS-Panzer-Division Leibstandarte-SS Adolf Hitler damit betraut, Juden zu fassen. Zahlreiche Flüchtlinge überlebten die Razzien, noch heute (bisher letztmalig im Jahre 2003) gibt es Treffen der Überlebenden in St. Martin Vésubie zum Gedenken an die Überquerung des Passes nach Valdieri. Ferdinand Glaser wurde jedoch festgenommen und mit einer Gruppe von anderen Gefangenen nach Borgo San Dalmazzo in das dortige Polizeihaftlager gebracht. Am 20. September 1943 wurden laut dem Kriegstagebuch des Generalkommandos des II. SS-Panzerkorps 216 Juden in Borgo San Dalmazzo festgesetzt und dem SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS) überstellt. Am 21. November 1943 kam die Gruppe per Bahn zum Gestapohauptquartier nach Nizza und von dort zum Transitlager Drancy bei Paris, wo Ferdinand Glaser am 24. November eintraf. (»Memoriale della Deportazione« am Bahnhof Borgo San Dalmazzo mit den Namen der Deportierten einschl. Ferdinand Glaser). Am Dezember wurde er zusammen mit ca. tausend anderen Juden zum Bahnhof Bobigny gebracht. Einige Tage später kam der Transport in Auschwitz an. Nach den Aufzeichnungen in Auschwitz wurden 334 Männern und Frauen Nummern eintätowiert. 657 Männer, Frauen und Kinder wurden sofort vergast. Aufgrund seines Alters und der Berufsbezeichnung »Spielwarenfabrikant« war Ferdinand Glaser vermutlich letzterer Gruppe zugeteilt.
Dr. Alexander Mayer ist ehrenamtlicher Stadtheimatpfleger in Fürth.
Pressespiegel: »Fürther Exil-Jude: ‘An jedem Tag denke ich an meine Familie’« (FN)
Persönliche Erinnerungen von Wille Glaser finden sich auf der Website rijo research:
»The little tramp from Fuerth: The whimsical story of a year of my early childhood«
»The little tramp still in motion«
»Memoirs of a young German born Jew in the Polish army 1941 – 1947«
»The tragic odyssey of Ferdinand Glaser: The search for the fate of my Father in France
and Italy 1939 – 1943«