»Die Zeit ist kaputt«
14. Juni 2015 | von Ralph Stenzel | Kategorie: VermischtesSo sprach einst Hans Albers als Baron Münchhausen im grandiosen UfA-Jubiläumsfilm von 1943, und es muß im Nachhinein Wunders nehmen, daß im späten Nazireich ein so anspielungsreicher Satz unbeanstandet durch die Zensur kam.
Seit ein paar Tagen ist auch in Fürth die Zeit kaputt, jedenfalls für mich, der ich werktags außer Sa (nicht 24.12., 31.12.) des Morgens zum Hauptbahnhof haste und beizeiten nach der großen Uhr im südseitigen Giebel des Empfangsgebäudes schiele, um zu sehen, ob ich noch einen Zahn zulegen muß, um meinen Zug vor seiner Abfahrt zu erreichen.
Es gibt aber neuerdings nichts mehr zu sehen, zumindest keine Uhrzeit mehr. So einen dreisten »Zeitdiebstahl« habe ich zwar schon vor zwei Jahren in der Zitadelle von Victoria auf der Insel Gozo bemerkt, aber da war immerhin noch das Zifferblatt vorhanden und nur die Zeiger waren auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Hier in der Heimat schmückt jetzt nur noch ein nebulöses Rund die Fassade.
O tempora, o mores! Was soll das werden? Hat DB Station&Service den maroden Mechanismus zu Reparatur- und Wartungszwecken ausbauen lassen, auf daß uns in Kürze wieder zuverlässig Stunde und Minute gewiesen werden können? Oder hat man die kaputte Uhr verschrottet, weil man lieber gar keine Zeit anzeigt als eine falsche? Rückbau also als kostengünstige Problemlösung? Wäre einerseits verständlich in Zeiten, wo fast jede(r) ein Smartphone mit präziser Zeitanzeige in Händen hält, andererseits aber ein trauriges Symbol für die allenthalben erodierende Infrastruktur.
Und es wäre nicht des erste Mal: Sowas kennen wir leider bereits in Sachen elektronische Abfahrtstafel, deren südstädtische Ausgabe auch erst kaputt, dann repariert, dann erneut defekt und schließlich ersatzlos verschwunden war. Bleibt zu hoffen, daß die DB die Zeichen der Zeit (und die Wichtigkeit dieser elementaren Dienstleistung) erkennt und uns Südstädtern bald wieder mitteilt, was die Stunde geschlagen hat.
Ich laufe zwar nicht soo häufig zum Bahnhof, aber das war gestern tatsächlich das erste, was mir aufgefallen ist, als ich mich dem Gebäude näherte. Und ich dachte mir noch: »Schade, jetzt haben wir nicht nur einen Hauptbahnhof ohne direkten Zugang zu den Gleisen, sondern auch noch einen Hauptbahnhof ohne Uhr...«
Ab wann verliert ein »Hauptbahnhof« eigentlich die Berechtigung, diesen Titel tragen zu dürfen?
Nun, in der EBO (Eisenbahn Bau- und Betriebsordnung) ist seit Äonen klar geregelt, was ein Bahnhof ist (in Abgrenzung zu schnöden Haltestellen oder gar läppischen Haltepunkten):
»Bahnhöfe sind Bahnanlagen mit mindestens einer Weiche, wo Züge beginnen, enden, ausweichen oder wenden dürfen. Als Grenze zwischen den Bahnhöfen und der freien Strecke gelten im Allgemeinen die Einfahrsignale oder Trapeztafeln, sonst die Einfahrweichen.«
Hat ein Ort mehrere Betriebsstellen, die nach dieser Definition als Bahnhöfe anzusehen sind, so wird der betrieblich übergeordnete (also der mit dem einstmals oder aktuell größten Verkehrsaufkommen) als Hauptbahnhof bezeichnet.
Bis der Bahnhof Fürth (Bay) Hbf (der Klammervermerk dient zur Unterscheidung von den zwei anderen bahnhhofsbehafteten Fürths in Deutschland) kein solcher mehr ist, muß schon noch eine ganze Menge mehr passieren als nur der Rückbau einer Uhr. Sogar die gänzliche oder teilweise Abtragung seines Empfangsgebäudes wäre aus betrieblicher Sicht gänzlich irrelevant...
Nostalgie in reinster Form. Bahnhofsuhren verschwinden, auch Kirchtürme, dereinst Taktschläger im Alltag und allseits sichtbare Zeitratgeber, haben massiv an Bedeutung verloren. Tipp: Im Bahnshop gibts die praktische Tisch- und auch Armbanduhr im ‘Classic’ einer DB-Bahnhofsuhr. Oder verfolgt die Bahn gar ein geheimes Projekt, alle Zeitmesser in ihrem Umfeld klammheimlich zu entfernen, um dem geneigten Fahrgast die Gelegenheit zu nehmen, seinen Ärger über eine allfällige Verspätung zumindest nicht mittels einer Bahnuhr nachweisen zu können? In meiner noch aktiven Zeit als Nutzer der S1 hatte ich es ohnehin aufgegeben, so etwas wie die ‘Uhrzeit’ zum Massstab meiner Nutzungsgewohnheiten zu machen. Einfach hingehen und abwarten, was (und wann) kommt. Uhren? Braucht man da nicht.
Zu früh geunkt, gejammert und getrauert: Die Uhr ist wieder da!
Na wunderbar!
Gell? Wenn mir momentan auch sonst alles um die Ohren fliegt, so habe ich wenigstens in dieser Sache jetzt ein im Wortsinne temporäres Erfolgserlebnis! :-)
Noch ein temporäres Erfolgserlebnis: Die »Fürther Freiheit« feiert heute ihren 5. Geburtstag!
Glückwunsch. Wo bleibt der angelegentliche Artikel?
Auf den habe ich doch im Kommentar Nr. 7 verlinkt. Neueres gibt es dazu nicht zu sagen...